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als die selten richtig gewürdigte Quelle von Störungen des Verdauungsprocesses, in dem Bereiche der unwissenschaftlichen Kochkunst erhalten[1].

Es ist durch Erfahrung anerkannt, dass der Ernährungswerth des gekochten Fleisches sich vermindert, wenn es ohne die Fleischbrühe genossen wird, und durch directe Versuche bewiesen, dass das völlig ausgekochte und ausgelaugte Fleisch kaum einen Ernährungswerth noch besitzt. In den Versuchen der französischen Akademiker verlor ein Hund, der 12,6 Pfund wog und täglich ½ Pfund gekochtes Muskelfleisch erhielt, welches in Wasser eingeweicht, ausgepresst und möglichst von Fett befreit worden war, in 43 Tagen ¼ von seinem Gewichte, nach 55 Tagen war seine Magerkeit auf’s äusserste gekommen, der Hund vermochte kaum noch den vierten Theil seiner Ration zu fressen und die völlige Erschöpfung war sichtbar; das Thier blieb dabei lebhaft, sein Haar glänzend und es zeigte keineswegs die Erscheinungen der Schwindsucht, genau so, wie wenn es täglich eine gute Nahrung, aber in zu kleiner, dem Bedürfniss nicht entsprechender Menge empfangen hätte. Auf der anderen Seite beobachtete man an Hunden, die täglich eine gleiche Menge rohes Fleisch (welches mehr Wasser und weniger feste Substanz als gekochtes enthält) der schlechtesten Qualität (von Schafköpfen) erhielten, nach 120 Tagen kein Zeichen eines gestörten Gesundheitszustandes, ihr Gewicht blieb unverändert. Es ist ganz gewiss, dass auch das erstere Thier gesund geblieben wäre, wenn es das gar gekochte aber ausgelaugte Fleisch mit der Brühe bekommen hätte, und es war somit die Abnahme der Ernährungsfähigkeit des Fleisches offenbar herbeigeführt durch die Entziehung der Bestandtheile des Fleisches.

Keiner von allen organischen Bestandtheilen der Fleischbrühe macht, so weit die gegenwärtigen Untersuchungen reichen, einen Bestandtheil der Blutflüssigkeit aus; wir nehmen an, dass diese Bestandtheile zur Wiedererzeugung eines Muskels im lebendigen Körper beitragen können, aber sie sind unfähig in Blutalbumin oder Blutfibrin überzugehen; sie lassen sich eben so wenig als nothwendige Bedingungen des Verdauungs- und Ernährungsprocesses betrachten, da Milch und die vegetabilischen Nahrungsmittel vollen Ernährungswerth besitzen, ohne eine diesen Bestandtheilen ähnliche Materie zu enthalten.

Es lässt sich demnach nicht behaupten, dass die Abnahme des Ernährungswerthes des Fleisches durch Entfernung der organischen

  1. Es bedarf wohl keiner besonderen Hervorhebung, dass die Personen, welche sich geneigt finden, Fleischextract für den Handel zu bereiten, ihren Zweck völlig verfehlen werden, wenn sie die Fehler ihrer Vorgänger nicht mit aller Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit zu vermeiden suchen. Ein halbstündiges Kochen des feingehackten Fleisches mit der acht- bis zehnfachen Wassermenge reicht hin, um alle wirksamen Bestandtheile desselben aufzulösen. Die Brühe muss vor dem Abdampfen von allem Fett (welches ranzig werden würde) auf das Sorgfältigste befreit und das Abdampfen im Wasserbade bewerkstelligt werden. Der Fleischextract ist niemals hart und brüchig, sondern weich, und zieht die Feuchtigkeit der Luft stark an. Das Auskochen des Fleisches kann in reinen kupfernen Kesseln geschehen, zum Abdampfen sollten hingegen Gefässe von Porzellan gewählt werden. Wenn der Preis des Pfundes sich nicht höher als etwa vier Thaler preuss. stellt, so würde der Fleischextract sicher einen gewinnreichen Handelsartikel abgeben. In Giessen lässt sich das Pfund, die Kosten der Darstellung ungerechnet, nicht unter 5 bis 6 Thaler darstellen.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_289.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)