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als es überhaupt werden kann; der grösste Theil der schmeckenden Bestandtheile bleibt im Fleisch.

Wird das Fleischstück hingegen in kaltem Wasser aufgesetzt und dieses langsam zum Sieden gebracht und im Sieden erhalten, so verliert das Fleisch an seinen löslichen und schmeckenden Bestandtheilen, indem die Brühe reicher daran wird; von der Oberfläche nach dem Innern hin löst sich das Albumin auf; die Fleischfaser verliert mehr oder weniger von ihrer kurzen Beschaffenheit und wird hart und zähe. Je dünner das Fleischstück ist, desto grösser ist der Verlust an schmeckenden Bestandtheilen.

Es erklärt sich hieraus die bekannte Erfahrung, dass die Methode des Kochens, welche die beste Fleischbrühe liefert, das trockenste, zäheste und fadeste Fleisch giebt, und dass, um geniessbares Fleisch zu haben, auf gute Fleischbrühe verzichtet werden muss.

Wird fein gehacktes Fleisch mit seinem gleichen Gewicht kaltem Wasser langsam zum Sieden erwärmt, einige Minuten im Sieden erhalten und dann abgeseiht und ausgepresst, so hat man die kräftige und wohlschmeckendste Fleischbrühe, die sich aus dem Fleisch darstellen lässt. Bei längerem Kochen lösen sich aus dem Fleisch einige Procente mehr an organischen Bestandtheilen auf, allein der Geschmack und die Eigenschaften der Fleischbrühe werden dadurch in keiner Weise erhöht und verbessert. Durch die Einwirkung der Hitze auf die Fleischfaser fliesst stets eine gewisse Menge Wasser oder Fleischsaft aus, woher es kommt, dass das Fleisch beim Kochen, selbst im Wasser eingetaucht, am Gewichte (bis 15 Procent von dem Gewichte des frischen Fleisches) verliert; bei grösseren Stücken ist dieser Verlust geringer.

Auch beim Braten des Fleisches muss die einwirkende Hitze im Anfang am stärksten sein, sie kann später sehr gemässigt werden. Der wie beim Kochen ausfliessende Fleischsaft verdunstet beim vorsichtigen Braten an der Oberfläche des Fleischstücks, und giebt dieser die dunkelbraune Farbe, den Glanz und den starken gewürzhaften Bratengeschmack.

Die Bestandtheile des Fleischsaftes oder der Fleischbrühe sind sehr zahlreich, und nur unvollkommen bekannt; was man übrigens davon weiss, erregt grosses Interesse. Es giebt keinen Körpertheil, welcher zusammengesetzter ist als das Gebilde, welches wir mit Muskel bezeichnen. Unzählige Nerven, so wie feine, mit gefärbten und ungefärbten Flüssigkeiten angefüllte Gefässe verzweigen sich in der eigentlichen Muskelsubstanz; was wir mit Wasser daraus auslaugen, enthält die löslichen Bestandtheile des ganzen Gebildes. Die Fleischbrühe ist, wie das Fleisch selbst, von sehr zusammengesetzter Natur. Die meisten Bestandtheile derselben sind sehr reich an Stickstoff; zwei davon, das Kreatin und das Kreatinin, lassen sich in schönen, durchsichtigen, farblosen Krystallen daraus erhalten. Ganz besonders reich ist die Fleischbrühe an unverbrennlichen Bestandtheilen, sie machen über ¼ von dem Gewichte des trockenen Fleischextractes aus.

Die freie Säure der Fleischbrühe scheint erst in Folge einer Veränderung zu entstehen, welche ausnehmend rasch nach dem Tode eintritt, oder durch das Kochen bewirkt wird; die Muskeln frisch getödteter Thiere, vor dem Eintreten der Todtenstarre, färben blaues Lakmuspapier nicht roth.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_284.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)