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gleich ist, und wenn in dieser Weise zwanzig Gläser getrunken werden, so hat man neunzehn Harnentleerungen, deren letztere beinahe ungefärbt und in ihrem Salzgehalte nur um etwas grösser als der des Brunnenwassers ist.

Macht man denselben Versuch mit Brunnenwasser, dem man etwas Kochsalz, so viel etwa, als das Blut enthält (¾ bis 1 Procent), zusetzt, so zeigt sich keine von der gewöhnlichen abweichende Harnentleerung; es ist kaum möglich, von diesem Wasser mehr als drei Gläser zu trinken, ein Gefühl des Gefülltseins, Druck und Schwere im Magen deuten an, dass Wasser, welches einen dem Blute gleichen Salzgehalt besitzt, eine weit längere Zeit zu seiner Aufnahme in die Blutgefässe bedarf.

Nimmt man zuletzt Salzwasser zu sich, dessen Salzgehalt um etwas grösser ist als der des Blutes, so tritt gerade das Gegentheil von Aufsaugung, nämlich Purgiren ein.

Je nach seinem Salzgehalte ändert sich, wie man deutlich sieht, das Aufsaugungsvermögen der Blutgefässe für das Wasser; ist dessen Salzgehalt kleiner als der des Blutes, so wird er mit grösster Schnelligkeit aufgenommen; bei einem gleichen Salzgehalt tritt ein Gleichgewicht ein; enthält das Wasser mehr Salz als das Blut, so tritt dieses Salzwasser nicht wie das salzarme durch die Nieren, sondern durch den Darmcanal aus[1].

  1. „Das Kochsalz ist selbst den rohesten Nationen meistens ein sehr grosses Bedürfniss geworden. In nicht wenigen Ländern ist es einer der werthvollsten Handelsartikel. In mehreren afrikanischen Ländern dient es statt des Geldes. In manchen Gegenden Afrika’s werden Menschen gegen Salz verkauft; bei den Galla und an der Sierra-Leone-Küste verhandelt der Bruder die Schwester, der Mann das Weib, die Aeltern die Kinder gegen Salz; in der Gegend von Akkra (Goldküste) bekommt man für eine Hand voll Salz, der vornehmsten Waare nach dem Golde, einen, wohl auch zwei Sclaven!“

    „Nur sehr wenige Nationen enthalten sich des Gebrauchs des Salzes gänzlich?“ (der Verf. führt kein Beispiel für eine solche gänzliche Enthaltung an) „oder suchen es durch Surrogate zu ersetzen.“ In den nördlichen Bergländern Sudans wird das Salz durch den langen Transport durch die Wüste so theuer, dass es nur von Wohlhabenden genossen werden kann. „Schon Mungo Park erwähnt, dass bei den Mandingo und anderen Negerstämmen im Innern des Landes der Ausdruck: er würzt seine Speise mit Salz, gleichbedeutend mit dem Urtheil sei: er ist ein reicher Mann. M. P. empfand selbst durch die Nothwendigkeit, sich des Genusses des Salzes, besonders bei dem langen Gebrauch vegetabilischer Nahrung, zu enthalten, eine Sehnsucht nach dem Salzgenuss, die er mit Worten zu schildern nicht vermochte. Auch Callié versichert, dass die Bewohner von Rankan selten Salz zu ihren Speisen anwenden können, weil es zu theuer und ein Gegenstand des Luxus sei. Die Mandingo-Neger und die Bambaras bedienen sich des Salzes nur an besonders festlichen Tagen.“ (S. Lehrb. d. Salinenkunde von Karsten. Berlin 1846. S. 720. 724. 754. 755.)

    Es giebt Gegenden, wo man den Thieren Salz reichen muss, um sie am Leben zu erhalten; z. B. nach Warden starben in den nördlichen Ländern Brasiliens die Hausthiere, wenn man ihnen nicht eine bestimmte Portion Salz oder Salzsand gab; und nach Roulin wurden in Columbien, wenn das Vieh nicht Salz in Pflanzen, in Wasser oder Erde vorfand, die weiblichen Thiere weniger fruchtbar und die Herde kam schnell herunter. Möglin’sche Annalen II. 1847. S. 29.

    In einer von der Akademie der Medicin in Brüssel gekrönten Preisschrift über den Gebrauch des Salzes sagt Dr. de Saive: das Kochsalz erhöht die Fruchtbarkeit des männlichen und die Empfänglichkeit des weiblichen Geschlechts und verdoppelt die Mittel den Foetus zu ernähren. In der Zeit der Säugung macht das Salz, welches die Mutter empfängt, den Säugling stärker und die Milch reichlicher und nahrhafter. Das Salz beschleunigt das Wachsthum – macht die Wolle der Schafe feiner. Das Fleisch der Thiere, welche reichlich Salz erhalten, ist schmackhafter, nahrhafter und leichter zu verdauen, als das der fleischfressenden Thiere, die kein Salz in ihrer Nahrung empfangen. Journal de Chemie médicale. 1849. S. 127.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_281.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)