Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 274.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


Man versteht nach diesen Betrachtungen die oft wunderbaren Erfolge, welche die Aerzte durch eine rationelle Diät, durch eine mit Kenntniss und Ueberlegung gemachte Wahl der Speisen, durch Mineralwasser, Kräuter- und Molkenkuren in vielen Krankheiten erzielen.

Wenn man das Fleisch und Brod in der gewöhnlichen Nahrung durch saftreiche Pflanzennahrung, durch Obst und Früchte ersetzt, so wird ohne allen Zweifel das Blut in seiner chemischen Mischung verändert, aber diese Aenderung beruht in keiner Weise auf einem Wechsel in seinen organischen oder verbrennlichen Bestandtheilen, denn das Fibrin und Albumin des Ochsenblutes weichen in ihrem chemischen Bestand nicht im Geringsten ab von dem des Blutes des fleisch- und körnerfressenden Thieres, sondern in einem Wechsel in den unverbrennlichen Bestandtheilen, in einem Ersatz des in so vielen (typhösen und Entzündungs-) Krankheiten störenden Einflusses der Phosphorsäure oder des phosphorsauren Alkali’s durch kohlensaures Alkali.

Es giebt wohl keine Thatsache, welche überzeugender für die Function des Darmcanals als eines Secretionsorgans zu sprechen scheint, als der Mangel des Eisens im Harn überhaupt und die Abwesenheit der phosphorsauren Salze im Harn der Pflanzenfresser.

Wir begreifen, dass keine Substanz im Harn enthalten sein kann, welche unlöslich in dieser Flüssigkeit ist, und dass phosphorsaurer Kalk und phosphorsaure Bittererde in dem Harn des Pferdes und der Kuh deshalb fehlen, weil eine Flüssigkeit, welche so beträchtliche Mengen kohlensaure Alkalien und kohlensaure Erden enthält, kein Lösungsvermögen für phosphorsaure Erden besitzt[1]. Wir finden in dem Harn der Kuh und des Pferdes keine Phosphorsäure, obwohl beide in ihrem Futter täglich eine grosse Menge von Phosphorsäure in der Form von löslichen phosphorsauren Alkalien geniessen, welche Bestandtheile ihres Blutes wurden; die chemische Analyse des Harns[2] von den nämlichen Thieren, von welchen die Fäces[3] und das Futter [4] analysirt worden war, zeigt

  1. Eine Auflösung von kohlensaurem Kalk in kohlensäurehaltigem Wasser, welche mit so viel Brunnenwasser verdünnt ist, dass kohlensaures Kali oder Natron darin keinen Niederschlag bewirkt, giebt beim Zusatz der kleinsten Menge phosphorsauren Natrons sogleich eine bleibende Trübung von phosphorsaurem Kalk.
  2. Harn (nach Abzug von Kochsalz)
  3. Fäces
    Pferd. Kuh. Pferd. Kuh.
    (Arzbächer.) (Arzbächer.) (Buchner.) (Buchner.)
    Kali 28,97 56,74 9,33 17,15
    Natron 1,31 0,61 6,30
    Kohlensäure 27,28 31,04
    Kalk 27,75 1,74 5,22 7,31
    Bittererde 4,22 4,09 2,03 4,50
    Eisenoxyd 0,79 0,31 2,03 3,34
    Schwefelsäure 6,48 4,63 3,92 3,23
    Kieselerde 59,96 41,00
    Phosphorsäure 7,92 17,05
    100 100 100 100
  4. Das Pferd erhielt täglich im Durchschnitt 3½ Pfund Hafer, 4 Pfund Roggenbrod, 10 Pfund Heu, 5 Pfund Kornstroh; die Kuh circa 52 Pfund Branntweinschlempe, 12 Pfund Roggenstroh, 2 Pfund Heu, l Pfund Erbsenstroh, 1 Pfund Haferstroh, 1 Pfund Gerstenstroh, 12 Pfund Runkelrüben. Von diesem Futter wurde die Asche der Kartoffelschlempe, des Hafers und des Heues durch Herrn Porter der Analyse unterworfen.
    Heu Hafer Branntwein-
    schlempe
    deren im Wasser
    lösl. Bestandtheile
    Kali 20,08 12,94 38,52 54,18
    Natron 10,84 2,02 4,47 6,17
    Phosphorsäure 17,35 15,43 16,78 11,99
    Kalk 8,24 3,00 5,19 11,99
    Bittererde 4,00 7,08 7,33
    Eisenoxyd 1,82 0,60 1,50
    Schwefelsäure 2,10 0,49 6,10 8,72
    Kochsalz 5,09 4,00 5,91
    Kieselsäure 30,00 53,97 2,84 12,12
    Kohlensäure 0,67 12,27
    100 100 100 100

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_274.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)