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Im lebendigen Körper erleidet die Nahrung ganz dieselbe Veränderung, wie wenn wir sie in einem Ofen verbrannt hatten, und es findet in Beziehung auf die unverbrennlichen Bestandtheile derselben eine vollkommen gleiche Theilung statt.

In dem Verdauungsprocess werden die im Wasser, alkalischen und schwach sauren Flüssigkeiten löslichen verbrennlichen und unverbrennlichen Bestandtheile der Speisen und des Futters löslich gemacht und in den Blutkreislauf aufgenommen. Durch die Wirkung des im Athmungsprocess aufgenommenen Sauerstoffs werden die verbrennlichen in letzter Form verbrannt. Die stickstofffreien werden in Wasser und Kohlensäure, die plastischen in Harnsäure, Hippursäure, Harnstoff, deren Schwefel in Schwefelsäure übergeführt.

Durch die Apparate der Secretion, die Nieren und den Darmcanal werden die obengenannten Producte des organischen Verbrennungsprocesses und die Aschenbestandtheile der Nahrung, in so fern sie für eine weitere Verwendung zu vitalen Zwecken untauglich sind, aus dem Organismus entfernt. Der Harn enthält die löslichen, die Fäces die unlöslichen Aschenbestandtheile der Nahrung.

Die Alkalien sowohl, wie die Producte des Stoffwechsels, welche damit lösliche Verbindungen bilden, sind im Harn, die übrigen in den Fäces enthalten.

War die Nahrung Brod oder Fleisch, welche in ihrer Asche nur phosphorsaure Salze hinterlassen, so enthält der Harn die Alkalien in der Form von phosphorsauren Alkalien.

Bestand sie aus Wurzeln, Gemüse, Früchten, die in ihrer Asche als lösliche Salze nur kohlensaure Alkalien enthalten, so enthält der Harn kohlensaure Alkalien.

Die im Leibe erzeugten Producte des organischen Verbrennungsprocesses, Schwefelsäure, Harnsäure, Hippursäure, besitzen zu den Alkalien eine starke Verwandtschaft; wenn wir diese Säuren einer Auflösung von phosphorsaurem Natron (PO5,2MO,HO) oder kohlensaurem Alkali zusetzen, so theilen sie sich mit der Phosphorsäure oder Kohlensäure in das Alkali; indem sie den Salzen dieser Säuren einen Theil der Basis entziehen, wird eine gewisse Menge Phosphorsäure oder Kohlensäure in Freiheit gesetzt.

Ganz dasselbe geht vor sich bei der Absonderung des Harns vom Blute. Die Alkalien enthalten in chemischer Verbindung alle im Blute vorhandenen oder erzeugten Säuren.

Der Harn der Menschen und Thiere enthält stets eine freie Säure, oder ein saures Salz.

Bei der Absonderung des Harns wird in Folge des Hinzutretens von Schwefelsäure, Hippursäure, Harnsäure zu dem phosphorsauren Alkali diesem Salz ein Theil des Alkali’s entzogen, ein entsprechender Theil der damit verbundenen Phosphorsäure wird frei, das ursprünglich alkalisch reagirende Salz wird neutral oder nimmt eine saure Reaction an. Bestanden die löslichen Aschenbestandtheile des Futters aus kohlensauren Alkalien, so treten diese im Harn, indem sie sich mit freier Kohlensäure aus dem Blute verbinden, in der Form von sauren kohlensauren Alkalien aus.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_269.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)