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Das Blut enthält vorwaltend ein unverbrennliches Alkali; aber auch die Lymphe und der Chylus besitzen eine alkalische Reaction, und es scheint hieraus hervorzugehen, dass von dem Alkali nicht blos gewisse Eigenschaften, sondern auch die Bildung und Erzeugung des Blutes abhängig sind.

Die Bildung und Erzeugung der geformten Theile des Körpers kann ohne vorwaltende Phosphorsäure nicht gedacht werden.

Einen ähnlichen Gegensatz beobachten wir im Ei; das Eiweiss des Hühnereies enthält unter seinen unverbrennlichen Bestandtheilen vorwaltend eine alkalische Basis, der Dotter freie Phosphorsäure.

Wenn wir die unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes der gras-, körner- und fleischfressenden Thiere mit einander vergleichen, so beobachten wir in dem Verhältniss der Alkalien zur Phosphorsäure ganz ausserordentliche Abweichungen.

Das Blut des Schweines und Hundes enthält 36 Procent, das des Huhns über 40 Procent, das des Ochsen und Schafes nicht über 14 bis 16 Procent Phosphorsäure. (Siehe die Note S. 262.)

Wie lassen sich, kann man fragen, so grosse Verschiedenheiten in Uebereinstimmung bringen mit den constanten Functionen des Blutes? Wenn die unverbrennlichen Bestandtheile des Ochsenblutes in den darin vorkommenden Verhältnissen nothwendig sind für die vitalen Vorgänge im Körper des Ochsen, wie kann man sich erklären, dass das Blut im Leibe des Schweines und Hundes bei einer so abweichenden Zusammensetzung zu denselben Zwecken tauglich ist, die wir in beiden ganz in derselben Weise sich vollenden sehen, wie im Körper des pflanzenfressenden Thieres? In der That giebt die Analyse in den Organen oder den Theilen des Leibes, die sich ausserhalb der Blutgefässe befinden, in Beziehung auf diese unverbrennlichen Bestandtheile keinen Unterschied in der Zusammensetzung zu erkennen. Während die Aschenbestandtheile des Blutes eines kräuter- und eines fleischfressenden Thieres in dem Grade von einander abweichen, dass wir durch die Analyse derselben sogleich und mit Bestimmtheit beide an ihrem Phosphorsäuregehalt unterscheiden können, ist es völlig unmöglich, durch die Analyse der unverbrennlichen Bestandtheile des Fleisches das eines Ochsen von dem eines Hundes oder Schweines zu unterscheiden und zu sagen, welche von dem Fleische des Fleischfressers oder dem des kräuterfressenden Thieres gewonnen worden sind. Die unverbrennlichen Bestandtheile der Fleischflüssigkeit des Ochsen, Schafes, Kalbes, Schweines, Hundes, Marders, Fuchses, der Fische enthalten stets Phosphorsäure und Alkalien in dem Verhältnisse, wie die pyrophosphorsauren Salze. Die in kaltem Wasser nicht löslich feste Substanz der Muskeln, des Bindegewebes, der Membranen, der Gewebe der Lunge und Leber enthalten stets überschüssige Phosphorsäure, so dass sich beim Einäschern derselben constant gewisse Mengen von metaphosphorsauren Salzen bilden.

Wenn aber die Theile der Organe und aller Gebilde des Kräuterfressers auch in Beziehung auf ihre unverbrennlichen Bestandtheile gleich zusammengesetzt sind wie die des Fleischfressers, wenn der Wechsel oder die Zunahme des Phosphorsäuregehaltes im Blute das Verhältniss dieser Säure in den Flüssigkeiten des Muskelsystems, den Geweben etc. nicht

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_265.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)