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Akademiker; denn die Hunde, welche mit Thierfibrin, mit Käsestoff[1], mit ausgekochtem und ausgepresstem Muskelfleisch ernährt, den Hungertod starben, empfingen in diesen Nahrungsstoffen eine für die Blutbildung bei weitem nicht zureichende Menge von Alkalien. Das ausgepresste Muskelfleisch enthält Phosphorsäure und Alkalien in einem solchen Verhältniss, dass, in Lösung gedacht, die Phosphorsäure, und nicht das Alkali vorwaltet; wenn beide gleichzeitig zu Bestandtheilen des Blutes werden könnten, so würde das Blut eine saure und nicht eine alkalische Beschaffenheit annehmen.

Eine saure Beschaffenheit des Blutes erscheint aber bei näherer Betrachtung völlig unverträglich mit den Functionen, welche das Blut in dem Ernährungs- und Athmungsprocess übernimmt. Das freie Alkali ertheilt der Blutflüssigkeit eine Menge sehr merkwürdiger Eigenschaften; durch das Alkali werden die Hauptbestandtheile des Blutes in ihrer flüssigen Beschaffenheit erhalten; die ausnehmende Leichtigkeit, mit welcher sich das Blut durch die feinsten Gefässe bewegt, verdankt es der geringen Durchdringlichkeit der Gefässwände für die alkalische Flüssigkeit. Das freie Alkali im Blute wirkt als Widerstand gegen eine Menge Ursachen, welche bei Abwesenheit des Alkali’s das Albumin zum Gerinnen bringen; je mehr Alkali das Blut enthält, desto höher steigt der Gerinnungspunkt des Albumins; bei einem gewissen Verhältniss von Alkali gerinnt es nicht mehr durch die Hitze. Von dem Alkali hängt die merkwürdige Fähigkeit der Blutflüssigkeit ab, die Oxyde des Eisens, welche Bestandtheile des Blutfarbstoffs sind, so wie andere Metalloxyde zu völlig klaren Flüssigkeiten zu lösen.

Eine besonders wichtige Rolle übernimmt das freie Alkali in dem Athmungs- und Secretionsprocess, die wir bei Betrachtung des Harns näher beleuchten wollen.

Die Bedeutung der Phosphorsäure für den Lebensprocess ist in die Augen fallend, wenn wir beachten, dass diese Säure einen nie fehlenden Bestandtheil aller geformten Theile des thierischen Körpers ausmacht; die Substanz der Muskelfaser, das Blutfibrin, die Gewebe der Lunge, Leber und Nieren enthalten in chemischer Verbindung eine gewisse Menge Phosphorsäure. Die unverbrennlichen Bestandtheile der Flüssigkeiten des Fleisches sind bei allen Thieren von einerlei Natur und Beschaffenheit, sie bestehen aus phosphorsauren Alkalien, phosphorsaurem Kalk und phosphorsaurer Bittererde. Die Knochen der Wirbelthiere enthalten als unverbrennlichen Bestandtheil über die Hälfte ihres Gewichts an phosphorsaurem Kalk und Bittererde. Die Gehirn- und Nervensubstanz enthalten eine mit einem Fette oder einer fetten Säure gepaarte Phosphorsäure, die letztere zum Theil in Verbindung mit einem Alkali[2].

  1. Der mit Lab gefällte Käse (Schweizerkäse) enthält nach der Analyse von Johnston auf 45 Th. Phosphorsäure nur 13,48 Alkalien und 41 Th. Kalk und Bittererde.
  2. Asche von Freie
    Phosphorsäure.
    Phosphorsaure
    Alkalien.
    Phosphorsaure
    Erden.
    Pferdefleisch
    (Dr. Weber.)
    2,62 80,96 16,42
    Ausgelaugtes Ochsenfleisch
    (Dr. Keller.)
    17,32 48,06 26,26
    Ochsenhirn
    (Dr. Breed.)
    16,57 74,41 9,02
    Eigelb
    (Dr. Polek.)
    36,74 27,25 34,70
    Die phosphorsauren Salze sind nach der Formel PO5,2MO berechnet. Das Pferdefleisch war vom Vorderarm eines magern Pferdes, vom Blute durch Ausspritzen der Arteria brachialis vollkommen befreit.

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_263.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)