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blendend weiss, in harten, zwischen den Zähnen krachenden, durchscheinenden, vierseitigen, mit vier Flächen zugespitzten Prismen.

Der krystallisirte Milchzucker löst sich in 5 bis 6 Theilen kaltem Wasser, ohne einen Syrup zu bilden; die Krystalle auf die Zunge gebracht, besitzen einen schwach süssen Geschmack; in der Lösung ist derselbe etwas hervorstechender. Durch den Milchzucker empfängt die Milch die Eigenschaft, in gelinder Wärme sich selbst überlassen, in Gährung überzugehen. Die gegohrene Milch liefert durch Destillation einen wahren (sehr übel nach Buttersäure und faulem Käse riechenden) Branntwein, welcher, aus Pferdemilch bereitet, in der Tartarei und in dem Lande der Kirgisen und Kalmuken ganz allgemein im Gebrauch ist. Die Leichtigkeit, mit welcher der Milchzucker in Milchsäure übergeht (siehe den 18. Brief), ist von dem Sauerwerden der Milch Jedermann bekannt.

Ausgezeichnet ist die Fähigkeit des Milchzuckers, bei Gegenwart von Alkalien Sauerstoff aufzunehmen. Macht man eine Auflösung von Milchzucker durch Zusatz von Ammoniak alkalisch und setzt alsdann ein Silbersalz hinzu, so wird bei gelindem Erwärmen das Silberoxyd reducirt und das Silber auf dem Glase in Gestalt eines spiegelnden Ueberzugs, oder in grauen Flocken niedergeschlagen. Eine mit Kalilauge versetzte Lösung von Milchzucker löst Kupferoxyd mit einer schönen blauen Farbe auf; diese Mischung wird in der Wärme roth, indem sich alles Kupfer als Kupferoxyd abscheidet; in beiden Fällen wird der Sauerstoff des Silberoxydes ganz, der des Kupferoxyds zur Hälfte von den Bestandtheilen des Milchzuckers aufgenommen.

Eine alkalische Lösung von Milchzucker löst Eisenoxyd und andere Metalloxyde auf, in Berührung damit wird blauer Indigo entfärbt; er löst sich darin zu einer wahren Indigküpe auf.

Durch den Einfluss vieler Fermente und besonders leicht bei Gegenwart von Kalk, wird die aus dem Milchzucker entstehende Milchsäure in Buttersäure, welche zu der Gruppe der fetten Säuren gehört, übergeführt; durch Oxydation mittelst Salpetersäure liefert der Milchzucker Kohlensäure, Oxalsäure und Schleimsäure; setzt man zu einer Auflösung von Milchzucker in Wasser etwas Schwefelsäure, so verwandelt sich derselbe sehr rasch und schnell in Traubenzucker.

Der krystallisirte Milchzucker enthält Kohlenstoff und die Elemente des Wassers, Sauerstoff und Wasserstoff, in einem solchen Verhältniss, dass, wenn wir uns den Wasserstoff desselben durch dessen Aequivalente Sauerstoff ersetzt denken, wir gerade Kohlensäure erhalten.

Die süssschmeckenden Früchte und Pflanzensäfte verdanken ihren Geschmack drei Zuckerarten, von welchen zwei krystallisirbar sind, während die dritte immer weich oder von syrupähnlicher Beschaffenheit ist. Die letztere ist ein Bestandtheil der meisten Früchte (Mitscherlich). Die Runkelrüben und Möhren enthalten dieselbe Zuckerart wie der Saft des Zuckerrohrs, der Honig enthält den nämlichen Zucker wie die Weintrauben. Von diesen Zuckerarten ist der Traubenzucker in seinem Verhalten und seiner Zusammensetzung dem Milchzucker am ähnlichsten; in trockenem Zustande enthält er die nämlichen Elemente in demselben Verhältnisse wie dieser; in Beziehung auf seine Fähigkeit, in Milchsäure und Buttersäure überzugehen, und in seinem Verhalten gegen Metalloxyde,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_245.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)