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Bestandtheil der Gewächse aufgespeichert und im concentrirtesten Zustande.

Ein umfassendes Naturgesetz knüpft die Entwickelung der Organe eines Thieres, ihre Vergrösserung und Zunahme an Masse, an die Aufnahme gewisser Stoffe, welche identisch sind mit dem Hauptbestandtheil seines Blutes; es ist offenbar, dass der Thierorganismus sein Blut nur der Form nach schafft und dass die Natur ihm die Fähigkeit versagt hat, es aus anderen Stoffen zu erzeugen, welche nicht identisch sind mit dem Hauptbestandtheil seines Blutes.

Der Thierkörper ist ein höherer Organismus, dessen Entwickelung mit denjenigen Materien beginnt, mit deren Erzeugung das Leben der gewöhnlichen Nährpflanzen aufhört; sobald die Futterkräuter und Getreidepflanzen Samen getragen haben, sterben sie ab; mit der Erzeugung der Frucht hört bei den perennirenden eine Periode ihres Lebens auf; in der unendlichen Reihe von organischen Verbindungen, welche mit den unorganischen Nahrungsstoffen der Pflanzen anfängt, bis zu den zusammengesetztesten Bestandtheilen des Gehirns im Thierkörper, sehen wir keine Lücke, keine Unterbrechung. Der Nahrungsstoff des Thieres, aus welchem der Hauptbestandtheil seines Blutes entsteht, ist das Product der schaffenden Thätigkeit der Pflanze.

Wenn man die drei schwefel- und stickstoffhaltigen Pflanzenbestandtheile mit dem Fleischfibrin, dem Blutalbumin und dem Casein der Milch ihren physikalischen Eigenschaften nach vergleicht, so findet man, dass der Kleber des Weizenmehls die grösste Aehnlichkeit mit dem Fleischfibrin besitzt, dass der in der Hitze gerinnbare Bestandtheil der Pflanzensäfte von dem Blutalbumin schlechterdings nicht unterscheidbar ist und dass zuletzt der Hauptbestandtheil der Samen der Hülsenfrüchte in allen seinen Eigenschaften und seinem Verhalten mit dem Käsestoff der Thiermilch übereinstimmt. Daher die Namen Pflanzenfibrin, Pflanzenalbumin und Pflanzencasein[1], welche diesen drei Pflanzenbestandtheilen mit dem grössten Rechte gegeben worden sind, da sie in ihren Eigenschaften den entsprechenden Thiersubstanzen vollkommen gleichen.

Die drei schwefel- und stickstoffhaltigen Bestandtheile der Samen und Säfte der Gewächse kommen niemals oder nur höchst selten für sich allein vor. So findet sich in dem Safte der Kartoffeln durch Säuren fällbares Pflanzencasein, und in den Samen der Leguminosen und Getreidepflanzen ist immer eine gewisse Menge durch Hitze gerinnbares Pflanzenalbumin. Was man als Kleber des Roggenmehls bezeichnet, besteht beinahe ganz aus Pflanzencasein und Pflanzenalbumin. In dem Weizenmehl sind alle drei beisammen.

  1. I. Itier erzählt, dass die Chinesen aus Erbsen einen dem thierischen ähnlichen Käse zu machen wissen. Zu dem Ende werden die Erbsen zu einem Brei gekocht, dieser durchgeseiht und mit Gypswasser zum Gerinnen gebracht; das Geronnene wird behandelt wie der aus der Milch mit Lab gefällte Käse. Die feste Masse wird von der Flüssigkeit abgepresst und unter Salzzusatz in Formen zu einem Käse verarbeitet, welcher nach und nach den Geruch und Geschmack des aus der Milch bereiteten Käses erhält. Dieser Käse wird auf den Strassen in Canton unter dem Namen Tao-foo feilgeboten und ist frisch eine beliebte Speise des Volkes.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_242.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)