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brennen[1], empfängt die atmosphärische Luft die Beschaffenheit und Zusammensetzung der ausgeathmeten Luft, durch welche der Respirationsprocess wesentlich gefährdet ist.

Es ist hervorgehoben worden, dass in dem Respirationsprocess die Menge der ausgeathmeten Kohlensäure ihrem Volum nach nicht gleich, sondern kleiner ist als das Volum des in das Blut übergegangenen Sauerstoffs. Wenn man in einem gegebenen Volum Sauerstoff Kohlenstoff verbrennt und der Sauerstoff in Kohlensäure übergeht, so ändert sich das Gasvolum nicht merklich. Die Kohlensäure enthält ihr gleiches Volum Sauerstoff. Wenn demnach der in das Blut aufgenommene Sauerstoff nur zur Bildung von Kohlensäure im Leibe verwendet werden würde, so müssten wir ein dem verbrauchten Sauerstoffvolum gleiches Kohlensäurevolum zurückerhalten; aber, wie bemerkt, der in der Kohlensäure austretende Sauerstoff beträgt weniger als der aufgenommene. Das Verhältniss des Sauerstoffs in der ausgeathmeten Kohlensäure zu der ganzen Menge des aufgenommenen Sauerstoffs ist sehr wechselnd und bis zu einer gewissen Grenze abhängig von der Nahrung; bei vegetabilischer Nahrung wird mehr, bei Fleischkost weit weniger Sauerstoff in der Kohlensäure ausgeathmet; bei Pflanzenfressern beträgt der letztere 8/10 bis 9/10, bei Fleischfressern etwa ¾ der ganzen Menge des eingeathmeten Sauerstoffs. Bei hungernden Thieren, gleichgiltig ob Pflanzen- oder Fleischfresser, ist dieses Verhältniss gleich und dasselbe wie bei den mit Fleisch gefütterten, offenbar ein Beweis, dass im Zustand des Hungers der in das Blut aufgenommene Sauerstoff sich in ihrem Leibe mit denselben Materien verbindet, d. h. der Athmungsprocess wird auf Kosten der Bestandtheile ihres Leibes unterhalten.

Die Frage, was aus den 10 bis 25 Procent Sauerstoff wird, welche in dem Athmungsprocess scheinbar verschwinden, beantwortet sich leicht, wenn man im Auge behält, dass der thierische Körper ausser Kohlenstoff und Wasserstoff nur noch eine höchst geringe Menge Schwefel als verbrennliche, d. h. mit dem Sauerstoff der Verbindung fähige Elemente enthält; es ist nicht zu bezweifeln, dass der grösste Theil dieses Sauerstoffs zur Wasserbildung verwendet wird. In dem Verschwinden des an Wasserstoff so reichen Fettes in Hungernden, oder des Alkohols der genossenen geistigen Getränke hat man die überzeugendsten Beweise dieser Wasserbildung, und die Thatsache, dass Murmelthiere im Zustande des Winterschlafes an Gewicht durch den Respirationsprocess zunehmen, mag darin genügende Erklärung finden; in diesem Zustande geniesst das Thier kein Wasser und entlässt demungeachtet von Zeit zu Zeit Wasser im Harn, nach dessen Austreten, wie sich von selbst versteht, eine Gewichtsverminderung eintritt, welche mit dem aufgenommenen und in Kohlensäure und Wasser übergegangenen Sauerstoff im Verhältniss steht.

Man kennt genau die Wärmemenge, welche beim Uebergang des Sauerstoffs in Kohlensäure oder Wasser entwickelt wird. Wenn man unter eine gewöhnliche mit Wasser gefüllte Theekanne eine brennende Weingeistlampe stellt, die letztere vor dem Anzünden wiegt und in dem

  1. Ein Cubikfuss Steinkohlengas verzehrt 2 bis 2½ Cubikfuss Sauerstoff und erzeugt 1 bis 2 Cubikfuss kohlensaures Gas.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_235.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)