Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 226.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


steht die Grösse der Leber im umgekehrten Verhältniss zu den unentwickelten oder unvollkommen entwickelten Respirationsorganen, und auch in den höheren Thierclassen entspricht in der Regel in gesunden Individuen eine kleine Lunge einer grossen Leber (Tiedemann). In grobem Umrisse gezeichnet ist die Leber das Magazin für die zur Respiration dienenden Stoffe, es ist die Werkstätte, in welcher dieselben die für die Wärmeerzeugung geeignete Form und Beschaffenheit erhalten. Die Leber ist klein bei stärker entwickelter Lunge; je rascher und vollkommener der Brennstoff verbraucht wird, desto weniger häuft sich im Magazin davon an, und dessen Umfang steht mit der Schnelligkeit des Verbrauchs in der bestimmtesten Beziehung.

Die Respiration ist das fallende Gewicht, die gespannte Feder, welche das Uhrwerk in Bewegung erhält, die Athmenzüge sind die Pendelschläge, die es reguliren. Wir kennen bei unseren gewöhnlichen Uhren mit mathematischer Schärfe die Aenderungen, welche durch die Länge des Pendels[1] oder durch äussere Temperatur ausgeübt werden auf ihren regelmässigen Gang; allein nur von Wenigen ist in seiner Klarheit der Einfluss erkannt, den die Luft und Temperatur auf den Gesundheitszustand des menschlichen Körpers ausüben, und doch ist die Ausmittelung der Bedingungen, um ihn im normalen Zustand zu erhalten, nicht schwieriger als bei einer gewöhnlichen Uhr.



Achtundzwanzigster Brief.


Die Veränderungen, welche die atmosphärische Luft in dem Athmungsprocess erleidet, sind in der neueren Zeit mit grosser Sorgfalt untersucht worden, und es ist die Bekanntschaft mit den gewonnenen Erfahrungen für die Gesundheitspflege von Wichtigkeit.

Die Lungen, als die Werkstätte des Athemprocesses, bestehen aus einer baumförmigen Verzweigung von immer feiner werdenden Röhren, deren letzte Reiser mit kleinen Bläschen, den sogenannten Luftzellen blind enden, und durch die Luftröhre mit der Mund- und Nasenhöhle und der äusseren Luft in Gemeinschaft stehen. Die Wandungen der Luftzellen sind von einem engen Netzwerk höchst feiner Blutgefässe durchzogen, so dass die in den Lungenzellen enthaltene Luft nur durch eine ausnehmend feine Haut von dem Blute getrennt ist, und beide durch die Flüssigkeit, welche die Gefässwände von dem Blute aus tränkt, in unmittelbarer Berührung stehen. Die feineren Blutgefässe vereinigen sich allmählich zu grösseren Zweigen und Aesten und münden in einzelnen grossen Stämmen im Herzen. Das Herz ist durch eine Scheidewand in eine rechte und linke Hälfte getheilt, deren jede wieder in eine Vorkammer und eine Herzkammer zerfällt, die durch eine weite, aber mit Klappen versehene Oeffnung in Verbindung mit einander stehen. Die Zusammenziehung des Herzens ist die nächste Ursache der Blutbewegung. Durch die Zusammenziehung der rechten Herzkammer wird das aus der

  1. WS: korrigiert, im Original: Psendels
Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_226.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)