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Frucht. Nur in den Theilen des Thieres, zu welchen arterielles Blut, und durch dieses der in dem Athmungsprocess aufgenommene Sauerstoff gelangen kann, wird Wärme erzeugt. Haare, Wolle, Federn besitzen keine eigenthümliche Temperatur. Diese höhere Temperatur des Thierkörpers, oder wenn man will, Wärmeausscheidung, ist überall und unter allen Umständen die Folge der Verbindung einer brennbaren Substanz mit Sauerstoff. In welcher Form sich auch der Kohlenstoff mit Sauerstoff verbinden mag, der Act der Verbindung kann nicht vor sich gehen, ohne von Wärmeentwickelung begleitet zu sein; gleichgiltig, ob sie langsam oder rasch erfolgt, ob sie in höherer oder niederer Temperatur vor sich geht, stets bleibt die freigewordene Wärmemenge eine unveränderliche Grösse. Wenn wir uns denken, dass sich der Kohlenstoff der Speisen im Thierkörper in Kohlensäure verwandele, muss eben so viel Wärme entwickelt werden, als wenn er in der Luft oder im Sauerstoff direct verbrannt worden wäre; der einzige Unterschied ist der, dass die erzeugte Wärmemenge sich auf ungleiche Zeiten vertheilt. In reinem Sauerstoffgas geht die Verbrennung schneller vor sich, die Temperatur ist höher; in der Luft langsamer, die Temperatur ist niedriger, sie hält aber länger an.

Es ist klar, dass mit der Menge des in gleichen Zeiten durch den Athmungsprocess zugeführten Sauerstoffs die Anzahl der freigewordenen Wärmegrade zu- oder abnehmen muss. Thiere, welche rasch und schnell athmen, und demzufolge viel Sauerstoff verzehren, besitzen eine höhere Temperatur als andere, die in derselben Zeit, bei gleichem Volumen des zu erwärmenden Körpers, weniger in sich aufnehmen; ein Kind mehr (39°) als ein erwachsener Mensch (37,5°), ein Vogel mehr (40 bis 41°) als ein vierfüssiges Thier (37 bis 38°), als ein Fisch oder Amphibium, dessen Eigentemperatur sich 1½ bis 2° über das umgebende Medium erhebt. Alle Thiere sind warmblütig, allein nur bei denen, welche durch Lungen athmen, ist die Eigenwärme ganz unabhängig von der Temperatur der Umgebung.

Die zuverlässigsten Beobachtungen beweisen, dass in allen Klimaten, in der gemässigten Zone sowohl als am Aequator oder an den Polen, die Temperatur des Menschen so wie die aller sogenannten warmblütigen Thiere niemals wechselt; allein wie verschieden sind die Zustände, in denen sie leben!

Der Thierkörper ist ein erwärmter Körper, der sich zu seiner Umgebung verhält wie alle warme Körper; er empfängt Wärme, wenn die äussere Temperatur höher, er giebt Wärme ab, wenn sie niedriger ist als seine eigene Temperatur.

Wir wissen, dass die Schnelligkeit der Abkühlung eines warmen Körpers wächst mit der Differenz seiner eigenen Temperatur und der des Mediums, worin er sich befindet, d. h. je kälter die Umgebung ist, in desto kürzerer Zeit kühlt sich der warme Körper ab.

Wie ungleich ist aber der Wärmeverlust, den ein Mensch in Palermo erleidet, wo die äussere Temperatur beinahe gleich ist der Temperatur des Körpers, und der eines Menschen, der am Pole lebt, wo die Temperatur 40 bis 50° niedriger ist!

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_220.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)