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werden kann. Alle diese Verhältnisse üben einen bestimmten Einfluss auf den Sauerstoffverbrauch und in dessen Folge auf die Menge der zu geniessenden Speise aus. Zwei Individuen mit ungleichen Pulsschlägen oder ungleich grossen Lungen verbrauchen unter gleichen Verhältnissen ein ungleiches Maass von Nahrung; das mit der kleineren Lunge verbraucht weniger. Wenn beide gleich viel Speisen verzehren, so kann der Fall eintreten, dass der Eine mager bleibt, während der Andere fett wird. Die richtige Beurtheilung der Brusthöhle giebt den erfahrenen Landwirthen einen sicheren Anhaltpunkt zur Schätzung des Milchertrags zweier Kühe, oder der Mastfähigkeit zweier Ochsen oder Schweine von sonst gleicher Beschaffenheit ab.

Im Sommer enthält die atmosphärische Luft Wassergas, im Winter ist sie trocken. Der Raum, den der Wasserdampf in der warmen Luft einnimmt, wird im Winter von Luft eingenommen, d. h. sie enthält bei gleichem Volum im Winter mehr Sauerstoff als im Sommer.

In ähnlicher Weise ändert sich die absolute Sauerstoffmenge des eingeathmeten Luftvolumens mit dem Barometerstande; an dem Ufer des Meeres enthält ein Cubikfuss Luft mehr Sauerstoff als wie auf hohen Bergen. Auf den bewohnten Gebirgsebenen Central-Amerika’s, in einer Höhe von 8 bis 10,000 Fuss, enthält die Luft in gleichem Volum beinahe ein Drittel weniger Sauerstoff als in den tiefen Schichten der Zinnbergwerke zu Cornwallis; aber diese Aenderungen in der Dichtigkeit der Luft durch Temperatur, Verdunstung oder Druck üben keinen bemerklichen Einfluss auf die Sauerstoffmenge, welche in jeder Zeitsecunde von dem Blute aufgenommen wird, und damit auf den täglichen Bedarf an Speise aus.

Der Sauerstoffverbrauch ist lediglich abhängig von den Athembewegungen und von der Bewegung des Blutes, und es erklärt sich hieraus der Einfluss einer erschlaffenden Hitze in warmen Klimaten und der grössere Verbrauch an Sauerstoff in kalter Luft, in welcher die Anzahl und Tiefe der Athemzüge zunimmt.

Die Wechselwirkung der Bestandtheile der Speisen und des durch die Blutcirculation im Körper verbreiteten Sauerstoffs ist die Quelle der thierischen Wärme.



Siebenundzwanzigster Brief.


Die Quelle der thierischen Wärme, die Gesetze, nach denen sie erzeugt wird, der Einfluss, welchen sie auf die Functionen des thierischen Organismus ausübt, sind Gegenstände, in so hohem Grade belehrend und unterhaltend, dass ich es mir nicht versagen kann, durch einige Andeutungen Ihre Aufmerksamkeit darauf hinzulenken.

Alle lebende Wesen, deren Existenz auf einer Einsaugung von Sauerstoff beruht, besitzen eine von der Umgebung unabhängige Wärmequelle. Diese Wahrheit bezieht sich auf alle Thiere, sie erstreckt sich auf den keimenden Samen, auf die Blüthe der Pflanze und auf die reifende

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_219.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)