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Kürze der Zeit, in der sie von Statten geht, und man kann sich nur verwundern, wenn das Gegentheil stattfindet. Eben so würde man darnach erklärlich finden, wie das Fett des Körpers sich bei der Selbstverbrennung entzünden und fortbrennen könnte.“

Diese Theorie ist ein Muster für alle. Der Urheber derselben hat auch nicht den entferntesten Begriff von den Gesetzen der Elektricitätserzeugung und Anhäufung, von den Bedingungen der Funkenbildung und der Wasserzersetzung durch Elektricität. Es mag hier genügen zu bemerken: wenn die Elektricität das Wasser in seine Bestandtheile zerlegt, so entsteht kein Funke, und wenn ein Funke die Bestandtheile entzündet, so bildet sich Wasser und es kann keine Zerlegung in seine Bestandtheile statt haben. Aber auch angenommen, es geschehe ganz so, wie er voraussetzt, es werde das Wasser in seine Bestandtheile zerlegt, und diese, durch die zerlegende Ursache, wieder mit einander zu Wasser vereinigt, so würde der Körper durch die Entzündung der Bestandtheile des Wassers, in weniger als einer Secunde, wie eine mit Schiesspulver geladene Bombe in tausende von Theilchen mit einem Knalle zerplatzen und auseinander fahren müssen, und doch würde der Körper sich nicht entzünden können, trotz der hohen Temperatur, weil aller Sauerstoff von dem Wasserstoff sofort in Beschlag genommen wird, und kein frei gewordener Sauerstoff übrig bleibt, um den Körper zu verbrennen. Die beiden Wasserbestandtheile, in welche das Wasser durch einen elektrischen Strom zerlegt wird, bilden nämlich gemengt die sogenannte Knallluft, im hohen Grade ausgezeichnet durch die Eigenschaft, beim Anzünden mit einem heftigen Knall zu verbrennen. Füllt man eine Kugel von Papier oder eine Schweinsblase mit dieser Knallluft an, so zerplatzt sie beim Anzünden mittelst eines Funkens mit einem Knalle gleich einem Kanonenschuss, aber die Blase, das Papier entzünden sich dabei nicht und verbrennen nicht.

Was die ausserordentliche Schnelligkeit betrifft, die man bei den genannten Selbstverbrennungen voraussetzt, so ist dies eine blosse Erfindung; denn in den Fällen, in welchen menschliche Körper todt und verbrannt gefunden worden sind, weiss man über den Verlauf der Verbrennung nicht das Allergeringste.

Dasselbe gilt für die Beschaffenheit der Flamme, welche selbst durch Wasser nicht löschbar sein soll. Alle Beweise für diese Eigenthümlichkeiten (Schnelligkeit der Verbrennung und Nichtlöschbarkeit) stützen sich auf einen einzigen Fall, den nicht ein Arzt, auch nicht ein Chirurg oder Bader, sondern ein Pfarrer Boineau erzählt hat. Es war eine 80 jährige Frau, die nichts mehr trank als Branntwein; sie fing an zu brennen, auf einem Sessel sitzend, und verbrannte, obwohl man reichlich Wasser auf sie goss, bis alles Fleisch am Körper verzehrt war, es blieb nur das Skelet, im Sessel sitzend zurück. Der Fall ist in einem Schreiben vom 22. Februar 1749 erzählt und ist demnach gerade 116 Jahre alt; der Erzähler wohnte der Verbrennung nicht bei und sah die Flamme nicht, und es ist wohl in der Erzählung seine gute Absicht nicht verkennbar, seinen Beichtkindern einen heilsamen Schrecken vor dem Branntweintrinken einzujagen; daraus erklärt sich die Aehnlichkeit des Feuers der verbrennenden Branntweintrinkerin mit dem höllischen Feuer; der Stuhl,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_202.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)