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in einem Ausfliessen von Wasser nach der stark erhitzten Stelle hin besteht; die Haut löst sich ab, es entsteht eine mit Wasser gefüllte Blase, sogenannte Brandblase. So lange dieser Blutstrom dauert, kann wohl der Körper durch äussere Hitze verletzt werden; aber er kann nicht brennen und nicht eher verbrannt oder verkohlt werden, als bis die Blutbewegung aufhört, d. h. wenn er todt ist [1].

Eine Selbstverbrennung bei lebendigem Leibe ist deshalb geradezu unmöglich; selbst der so ausserordentlich verbrennliche Phosphor verliert, unter gleichen Umständen, seine Verbrennlichkeit, wenn derselbe, wie dies in den Zündhölzerfabriken geschieht, in feinzertheiltem Zustande mit Wassertheilchen umgeben ist.

Dass der Fettgehalt oder ein Branntweingehalt nicht die Ursache der Leichtverbrennlichkeit oder Leichtentzündlichkeit ist, geht zuletzt daraus aufs Schlagendste hervor, dass Hunderte von fetten, mästigen Branntweintrinkern nicht verbrennen, wenn sie durch Zufall oder Absicht einem Feuer zu nahe kommen, ja mit Gewissheit lässt sich voraussetzen, dass, so lange der Blutumlauf dauert, ihr Körper nicht in Flammen aufgehen würde, selbst wenn sie ihre Hand bis zur Verkohlung ins Feuer halten würden.

Die allermerkwürdigste Ansicht setzt voraus, dass die Selbstverbrennung bewirkt werde durch Elektricität oder durch einen elektrischen Funken. Muncke (weiland Professor der Physik in Heidelberg) sagt hierüber in Gehlers physical. Wörterbuch 10. Band, S. 262: „Vor allen Dingen muss wohl bei diesen Erklärungen die Elektricität ganz aus dem Spiele bleiben, deren vermehrte Entbindung durch Nichts bedingt, vielmehr bei fehlender Isolirung ganz unmöglich ist, so wie ein

  1. Manche Anhänger der Selbstverbrennung geben zu, dass im gesunden Zustande ein lebendiger Körper nicht von selbst sich entzünden und fortbrennen könne, sie nehmen an, dass der Selbstverbrennung ein Krankheitszustand vorausgehe, in welchem, in der Form von Krankheitsproducten, Verbindungen gebildet werden von weit erhöhterer Entzündlichkeit und Verbrennlichkeit, als die Thierbestandtheile im normalen Zustande besitzen. Diese Voraussetzung ist natürlich eine blosse Erfindung, welche nicht einmal den Schatten einer Beobachtung für sich hat. Alle Stickstoffverbindungen bedürfen zur Entzündung und Verbrennung einer höheren Temperatur als zur Entzündung ihrer brennbarsten Elemente, des Kohlenstoffs und Wasserstoffs, erforderlich ist. Darin liegt gerade eine Eigenthümlichkeit dieser Verbindungen, dass sie durch den Stickstoffgehalt ihre Verbrennlichkeit zum grossen Theil einbüssen. Stickstoffhaltige Substanzen rechnet man dieses Verhaltens wegen nicht zu den Brennstoffen. Das Ammoniakgas, welches Stickstoff und Wasserstoff enthält, ist nicht mehr entzündlich, es lässt sich durch einen glühenden Körper nicht mehr entzünden und brennt nicht mit der Flamme fort. Selbst der Phosphor verliert im Phosphorstickstoff seine Verbrennlichkeit. Wir können uns keine Stickstoffverbindung denken, welche durch eine Umsetzung oder besondere Anordnung ihrer Theile verbrennlicher wird, als wie der Wasserstoff es ist, der zur Entzündung und Entflammung immer der Glühhitze bedarf.

    Ein Mensch, welcher 120 Pfund wiegt, enthält in seinem Körper nahe an 90 Pfund Wasser. Denkt man sich diesen Wassergehalt in einen Kessel gebracht und seine übrigen Theile Knochen, Fleisch, Membranenblut etc. trocken unter diesem Kessel brennend, so reicht, auch wenn man annimmt, dass sich letztere anzünden liessen und fortbrennten wie Holz, die durch Verbrennung des (nicht in der Form von Ammoniak austretenden) Wasserstoffs und Kohlenstoffs entwickelte Wärme nicht hin, um alles Wasser im Kessel in Dampf zu verwandeln.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_200.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)