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Alle Substanzen, deren Entzündungstemperatur höher liegt wie 100°, werden schwerverbrennlich, wenn sie im porösen Zustande mit Wasser getränkt werden, denn solange Wasser zugegen ist, kann selbst bei heftigem Feuer der brennbare Körper nicht brennen; erst dann, wenn das Wasser verdampft ist, steigt seine Temperatur höher, und bei seiner Entzündungstemperatur bricht er in Flamme aus[1].

Man wird hiernach leicht verstehen, warum auch der Fettgehalt den Körper nicht leichtverbrennlich macht, denn so lange der Körper Wasser enthält, entzündet sich das Fett nicht, weil es einen höheren Hitzgrad braucht; es schmilzt und fliesst aus, und wenn die dem Feuer ausgesetzten Theile des Körpers ihr Wasser durch Verdampfen verloren haben, so würden sich diese Theile entzünden und in Flammen ausbrechen, auch wenn kein Fett zugegen wäre. Die Gegenwart des Fettes macht, da es ebenfalls brennt, die Flamme grösser, aber den brennenden Körper nicht schneller verbrennlich. Schnell verbrennlich kann man den Körper nur machen durch Zusatz von sauerstoffreichen Materien; durch Behandlung mit Salpetersäure werden bekanntlich Baumwolle, Leinwand etc. so ausnehmend schnell entzündlich und verbrennlich, dass man sie statt Schiesspulver brauchen kann.

Dass das Fett eines dem Feuer ausgesetzten thierischen Körpers, wenn es in das Feuer hineinfliesst und brennt, zur weiteren Zerstörung des Körpers beitragen kann, um dies einzusehen, dazu bedarf es keiner besonderen Theorie, denn die Flamme vom brennenden Fett wirkt ganz ähnlich wie die vom brennenden Spiritus, und dass man mit letzterer dieselbe Wirkung hervorbringen kann wie mit Holz, dies ist Jedermann bekannt.

In einem lebendigen Körper setzt sich dem Anzünden und Brennen desselben ein Umstand entgegen, der in einer Leiche fehlt, dies ist die Blutcirculation. In einem Stücke Fleisch, auf welches Feuer einwirkt, bleibt die Flüssigkeit, mit welcher es getränkt ist, an ihrem Platz, bis sie verdampft; aber in einem lebenden Körper fliesst durch alle, auch seine feinsten Theilchen ein Blutstrom, welcher macht, dass die von Aussen erhitzten flüssigen Theile unaufhörlich hinwegbewegt und durch weniger erhitzte verdrängt werden. Ist die Einwirkung des Feuers von Aussen sehr heftig, so tritt von dem Blute aus eine Gegenwirkung ein, welche

  1. Wenn man nasses Papier über eine brennende Weingeistlampe hält, so fängt das Papier nicht eher zu brennen an, als bis das darin enthaltene Wasser verdampft ist; der trocken gewordene Theil entzündet sich in der Weingeistflamme, das noch nasse Stück entzündet sich nicht, das Papier brennt nicht fort, weil die entwickelte Wärme des brennenden Theils nicht hinreicht, um in dem nächstliegenden nassen Theil das Wasser zu verdampfen, diesen zu trocknen und auf die Entzündungstemperatur zu erheben. Die erste und nothwendigste Bedingung des Brennens und Fortbrennens ist aber, dass der brennende Theil dem nächstliegenden nicht brennenden die zu dessen Entzündung nöthige Temperatur mittheilt.
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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_199.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)