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Farbe die Joddämpfe angezogen und verdichtet haben, in einem weit höheren Grade, als das weisse Papier. Ein feuchter Ueberzug von Stärkekleister entzieht der schwarzen Farbe das Jod, auf dem Papier entsteht eine blaue Jodverbindung, ein blauer Abdruck des Kupferstichs; eine Kupferplatte entzieht der blauen Amylonverbindung das Jod, es entsteht auf der Platte eine Zeichnung aus Kupferjodür.

Es ist augenscheinlich, dass das weisse Papier, die schwarze Farbe, das Stärkmehl und Kupfer zu dem Jod eine höchst ungleiche Anziehung haben, und dass die Ursache der Verdichtung des Jods identisch ist mit der, welche überhaupt die Verdichtung der Gase an er Oberfläche der Körper bewirkt. Die schwarze Farbe zieht das Jod an, aber es ist keine eigentlich chemische Verbindung entstanden, denn die Eigenschaften der Farbe sind unveränderlich geblieben und von den Eigenschaften des Jods ist nur seine Verdampfbarkeit aufgehoben oder verringert; es wirkt auf Amylon wie freies Jod.

Diese Erscheinungen erinnern unwillkürlich an einen der merkwürdigsten Vorgänge im thierischen Körper, an die Rolle, welche die festen Bestandtheile des Blutes in dem Athmungsprocess spielen.

Die Blutflüssigkeit verdankt ihre Farbe den Blutkörperchen; wir wissen, dass diese in der Lunge einen Wechsel von Dunkelroth in Scharlachroth erfahren, und beobachten mit diesem Farbwechsel gleichzeitig eine Sauerstoffabsorption; die physiologischen Erscheinungen sowohl, wie das Verhalten der von den Blutkörperchen befreiten Blutflüssigkeit gegen Luft und Sauerstoffgas geben zu erkennen, dass ein grosser Theil des in das Blut tretenden Sauerstoffgases von den Blutkörperchen aufgenommen wird und dass sie gegen dieses Gas sich wie rauhe oder gefärbte Körper gegen die Dämpfe des Jods verhalten; das Sauerstoffgas geht eine Verbindung eigener Art damit ein; denn es behält bei der Absorption seinen chemischen Charakter, sein Vermögen sich mit anderen Materien während des Kreislaufs zu verbinden, zu denen es Verwandtschaft hat.

Wir setzen voraus, dass die Anziehung der schwarzen Farbe eines Kupferstichs zu Jod (und wie Niepce gezeigt hat zu Chlor und einer Menge von dampfförmigen Substanzen), so wie die der Blutkörperchen zum Sauerstoffgas eine Wirkung der chemischen Affinität ist; aber unsere Vorstellungen über das Wesen dieser Kraft sind bis jetzt so eng, dass wir für diese Art von Verbindungen nicht einmal einen Namen haben.

Es giebt, wie man sieht, Erscheinungen genug, welche nach dem Muster der gebräuchlichen eingelernten Vorstellungen nicht erklärt werden können, es sind Anzeichen und Beweise, dass wir noch weit entfernt sind, die Gesetze der bekannten Kräfte zu kennen. Wir können mit einer gegebenen Menge Schwefelsäure unbegrenzte Mengen von Alkohol in Aether und Wasser zerfallen machen, wir können mit Hülfe der nämlichen Schwefelsäure eine Menge von Stärkmehl in Traubenzucker überführen, ohne dass sie neutralisirt wird; diese Wirkungen sind durchaus verschieden von der Wirkung, welche die Schwefelsäure darbietet, wenn sie mit Metallen oder mit Metalloxyden in Berührung gebracht wird, aber es ist vollkommen thöricht, sie einer eigenen von der chemischen Affinität ganz verschiedenen Ursache zuzuschreiben. Was wir gewöhnlich

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_178.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)