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durch frische ersetzt, so stellt der nämliche Process sich auf’s Neue ein, ihr Sauerstoff verwandelt sich in Kohlensäure. Wenn wir das Holz oder Heu angezündet in dieser Luft hätten verbrennen lassen, so wäre die eingetretene Veränderung der Luft ganz die nämliche gewesen.

In dem Bleichen der Farben an der Luft oder der sogenannten Rasenbleiche hat man den Verwesungsprocess in einem grossen Massstabe in technischer Anwendung. Die Leinwand oder Baumwolle ist gewöhnliche Holzfaser, mehr oder weniger gefärbt, durch fremde, in der Pflanze enthaltene oder in der Darstellung hinzugekommene organische Substanzen. Mit Wasser benetzt und dem Sonnenlichte ausgesetzt, stellt sich augenblicklich an der ganzen Oberfläche ein langsamer Verbrennungsprocess ein, der Sauerstoff der das Zeug berührenden Luft wird unausgesetzt in Kohlensäure verwandelt. Das Gewicht des Stoffes nimmt, eben weil er verbrennt, in jeder Zeitsecunde ab, die färbenden Materien verschwinden allmählich und mit ihnen eine beträchtliche Menge Holzfaser, indem ihre Elemente in Sauerstoffverbindungen übergehen. Bei einer länger dauernden Einwirkung verliert das Zeug seinen Zusammenhang und verwandelt sich in eine der Papiermasse ähnliche Materie, welche fortfährt zu verwesen, so lange die Bedingungen zur Sauerstoffaufnahme oder zur Verwesung noch vorhanden sind.

In einer ganz ähnlichen Weise, wie das Holz, wie der stickstofffreie Hauptbestandtheil der Pflanzen, verhalten sich die stickstoffhaltigen. Frisches Fleisch, die gewöhnliche Bier- oder Weinhefe, eins der ersten Producte der Umsetzung der stickstoffhaltigen Bestandtheile der Pflanzen durch Gährung, entziehen der Luft ihren Sauerstoff, und geben an sie, wie das Holz, ein gleiches Volumen Kohlensäure zurück. So fanden sich bei der Verlegung des Kirchhofes des Innocenz aus dem Innern der Stadt vor die Thore von Paris die meisten Leichen, dem Anschein nach, in Fett verwandelt. Die Substanz der Haut, Muskeln, Zellen und Sehnen war bis auf die Knochen völlig verschwunden, nur das der Verwesung am längsten widerstehende Fett der Leichen war als Margarinsäure zurückgeblieben, von welcher damals Hunderte von Centnern von den Seifensiedern in Paris zu Lichtern und Seife verarbeitet wurden. Von Fleisch, welches man in fliessendem Wasser aufhängt oder in feuchter Erde vergräbt, bleibt nach einem gewissen Zeitraume nichts als das darin enthaltene Fett zurück.

Alle verwesenden Materien verhalten sich in feuchtem Zustande gegen die Luft bei gewöhnlicher Temperatur ganz, wie wenn man sie getrocknet der Glühhitze ausgesetzt hatte; sie gehen in den Zustand der Sauerstoffaufnahme über, sie verbrennen.

Dem Weingeist, einem anderen Producte der Gährung zuckerhaltiger Pflanzensäfte, geht das Vermögen, so wie diese zu verwesen, völlig ab; in reinem Zustande oder mit Wasser gemischt der Luft ausgesetzt, verdampft er zuletzt, allein ohne sich mit Sauerstoff zu verbinden; man weiss, dass er sich in höherer Temperatur leicht entzündet und zu Kohlensäure und Wasser verbrennt; es ist klar, dass seine Elemente eine grosse Verwandtschaft zum Sauerstoff haben, die höhere Temperatur ist ja nur eine Bedingung zu ihrer Aeusserung. Ganz wie der Weingeist verhalten

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_148.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)