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Elemente der organischen Atome oder die Producte der Gährung und Fäulniss der Pflanzen- und Thierleiber sich allmählich mit dem Sauerstoff der Luft verbinden.

Kein Organismus, kein Theil eines Thieres oder einer Pflanze ist fähig, nach dem Verlöschen der Lebensthätigkeit der chemischen Action, welche Luft und Feuchtigkeit auf sie ausüben, zu widerstehen, denn aller Widerstand, den sie als Träger und Vermittler der Lebensäusserungen vorübergehend besassen, hört mit dem Tode völlig auf; ihre Elemente fallen der unbeschränkten Herrschaft der chemischen Kräfte wieder anheim.

Mit der Lichtung der Urwälder Amerika’s, mit der erhöhten Leichtigkeit des Zutritts der Luft zu dem an Pflanzenüberresten so reichen Boden ändert sich allmählich seine Beschaffenheit; nach einer gewissen Anzahl von Jahren findet sich keine Spur dieser Ueberreste mehr vor. Die Oberfläche Germaniens war zu Tacitus Zeiten mit einem undurchdringlichen Walde bedeckt; der Boden muss damals dieselbe Beschaffenheit gehabt haben, wie die Dammerde der Urwälder Amerika’s; aber alle diese Producte des Pflanzenlebens sind für unsere Wahrnehmung völlig verschwunden. Die Milliarden von Schalthieren und anderen Thieren, deren Ueberreste ganze Gebirgslager bilden, – ihre Leiber sind nach dem Tode in Gährung und Fäulniss und durch die fortdauernde Einwirkung der Atmosphäre in luftförmige Verbindungen übergegangen, und ihre Gehäuse, ihre Knochen, ihre unzerstörbaren Bestandtheile legen Zeugniss ab von einem unausgesetzt verlöschenden und stets sich wieder erneuernden Leben.

Nur an Orten oder in Lagen, wo der Zutritt des Sauerstoffs beschränkt oder abgeschlossen war, finden wir, wie in den Torf- und Braunkohlenlagern, die erkennbaren Ueberreste urweltlicher Vegetationen in einem verlangsamten Zustande der Verwesung noch vor.

Zum Eintreten und zur Vollendung des Oxydationsprocesses der Verwesung sind Wasser und eine angemessene Temperatur, ganz wie bei der Gährung oder Fäulniss, durchaus nothwendige Bedingungen; Austrocknen oder Eiseskälte hebt alle Verwesungs- und Gährungsprocesse auf; die Uebertragung der eingetretenen Selbstentmischung von einem Theilchen zum anderen setzt einen Ortswechsel, die Beweglichkeit dieser Theilchen voraus, welche durch das Wasser möglich gemacht und vermittelt wird; bei der Verwesung ist es insbesondere eine gewisse erhöhte Temperatur, wodurch die Fähigkeit der Elemente, sich mit dem Sauerstoff der Atmosphäre zu verbinden, gesteigert wird.

Eine Menge organischer Materien ist im feuchten Zustande fähig, Sauerstoff aufzunehmen; vielen anderen, man kann sagen den meisten, geht diese Fähigkeit für sich völlig ab.

Wenn wir feuchtes Heu oder faules Holz in ein Gefäss mit Luft bringen, so ändern sich in sehr kurzer Zeit alle Eigenschaften dieser Luft. Ein angezündeter Holzspan, der im Anfange darin fortbrannte, verlischt nach zwei bis drei Stunden in dieser Luft ganz so, wie wenn man ihn brennend in Wasser getaucht hätte. Eine genauere Untersuchung ergiebt, dass aller Sauerstoff der Luft völlig verschwunden, und dass seine Stelle eingenommen ist durch ein dem Sauerstoff gleiches Volumen Kohlensäure. Wird die kohlensäurehaltige Luft entfernt und

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_147.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)