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in Folge einer Abscheidung und Ausscheidung ihres Sauerstoffs, an dessen Platz eine gewisse Menge Wasserstoff, oder Stickstoff und Wasserstoff tritt. In der einfachsten Form gedacht ist z. B. der Traubenzucker ein Kohlensäureatom, in welchem an die Stelle von einem Sauerstoffatom ein Wasserstoffatom getreten ist. Der Rohrzucker, das Gummi, das Stärkmehl und die Substanz der Holzzellen (Cellulose) bestehen aus einer Anzahl von Traubenzuckeratomen, von denen sich ein oder mehrere Wasseratome getrennt haben.

Das Chinin, Caffein und die organischen Basen enthalten Kohlenstoff und die Elemente des Wassers und ausser diesen noch eine gewisse Menge Stickstoff. Die höchst zusammengesetzten organischen Materien, wie das in den Pflanzensäften gelöste Pflanzeneiweiss und der in den Samen abgelagerte Pflanzenkäsestoff enthalten die vier Bestandtheile der organischen Basen und ausserdem in dem Schwefel ein fünftes Element.

Die in den Vegetabilien so verbreiteten organischen Säuren, wie die Oxalsäure (in dem Sauerklee), die Aepfelsäure (in den meisten Früchten), die Citronsäure, stehen zu einander und zu der Kohlensäure in einer ähnlichen einfachen Beziehung wie der Traubenzucker. Durch Austreten von einem Sauerstoffatom aus zwei Kohlensäureatomen entsteht die Oxalsäure, und aus zwei Oxalsäureatomen, durch Eintreten von zwei Wasserstoffatomen unter Ausscheidung von zwei Sauerstoffatomen, die Aepfelsäure. Wir haben allen Grund zu glauben, dass aus diesen Säuren der Zucker, das Gummi, die Holzfaser entsteht, dass es die einzelnen Glieder einer Reihe sind, welche den Uebergang des Kohlensäureatoms in Zucker und in die höheren organischen Atome vermitteln; der Traubenzucker enthält die Elemente des Wassers genau in dem Verhältniss wie im Wasser, die genannten Säuren enthalten ausser den Elementen des Wassers eine gewisse Menge überschüssigen Sauerstoff; durch weiteres Hinzutreten von Wasserstoff, mit oder ohne Ausscheidung von Sauerstoff, können alle diese Säuren in Zucker übergehen. In demselben Grade, als die aus der Kohlensäure gebildeten Producte in ihrer Zusammensetzung von dem Kohlensäureatom abweichen, nehmen sie neue Eigenschaften an. Die organischen Säuren besitzen noch den chemischen Charakter der Kohlensäure; in dem Stärkmehl, der Holzfaser ist dieser völlig verschwunden. Die kleinsten Theilchen der Oxalsäure, Weinsäure, Aepfelsäure, Citronsäure, des Zuckers lagern sich, indem sie krystallisiren, in Richtungen, welche durch eine unorganische Kraft bedingt sind, aber in der Bildung des Stärkmehls, des Zellstoffs wirkte eine fremde Ursache mit, welche der Cohäsionskraft entgegentrat und die Richtung ihrer Anziehung änderte; die höheren organischen Atome sind nicht mehr durch gerade Linien und ebene Flächen, sondern durch krumme Linien begrenzt. Ueber die Entstehung und Bildung der höheren organischen Verbindungen haben die neueren Untersuchungen der organischen Chemie Licht verbreitet. Man hat eine ganze Reihe von Körpern entdeckt, welche aus zwei einfachen organischen Verbindungen entstanden, den chemischen Charakter des einen Bestandtheils vollständig beibehalten haben, ganz gegen die Verbindungsgesetze der anorganischen Chemie, aus denen wir zu folgern gewöhnt waren, dass die Eigenschaften der Bestandtheile in den Eigenschaften ihrer Verbindung aufgehen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_128.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)