Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 120.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


körperlichen Dinge wandelbar seien und die Alchemisten glaubten, dass alle Metalle eine Grundeigenschaft gemein hätten, und dass eines in das andere verwandelt, eines aus dem anderen erzeugt werden könne, und wir beweisen, dass zwei Dinge unter Umständen nur ein Ding ist und dies eine Ding sich in das andere vorwärts und rückwärts verwandeln lässt.

Wenn wir die Erzeugung des ozonisirten Sauerstoffs auf dem chemischen Wege näher betrachten, so ist es sicher, dass in feuchter Luft die Sauerstofftheilchen, welche Phosphor berühren, an den Berührungsstellen sich mit dem Phosphor zu einem Oxyde verbinden und es ist eben so gewiss, dass diejenigen Sauerstofftheilchen, welche phosphorige oder Phosphorsäure bilden, nicht ozonisirt werden, sondern diese Umwandlung trifft andere Sauerstofftheilchen, die den Phosphor nicht berühren.

Es scheint offenbar zu sein, dass die Sauerstofftheilchen, die mit dem Phosphor eine Verbindung eingehen, in dem Augenblick wo dies geschieht, in einen besonderen Zustand (einer Molecular-Bewegung) versetzt werden, in welchem sie wie ein mit Elektricität beladener Körper durch Induction auf die umgebenden Materien eine Wirkung ausüben, die sich in dem vorliegenden Fall auf die zunächst liegenden Sauerstofftheilchen erstreckt, wodurch diese in den Zustand des ozonisirten Sauerstoffs versetzt werden. In dem Eigenschaftswechsel der Sauerstofftheilchen, welche zu einem Oxyde des Phosphors werden, ist offenbar der Grund zu suchen, dass andere daneben liegende Sauerstofftheilchen eine Aenderung in ihren Eigenschaften erleiden. Das Verhalten des Bittermandelöls, Terpentinöls, der schwefligen Säure und vieler anderer ihrer Natur nach weit auseinander stehender Körper beweist es, dass es der Act der chemischen Thätigkeit ist, wodurch die Ozonisirung bewirkt wird, aber die Verschiedenheit der Wirkung der chemischen Kraft und der elektrischen Kraft ist augenfällig. Während der durch Induction hervorgerufene elektrische Zustand sich mit der Ursache verliert, die denselben hervorgebracht hat, ist der durch die Wirkung der chemischen Thätigkeit erregte Wechsel in den Eigenschaften der Sauerstofftheilchen, indem sie ozonisirt werden, dauernd; durch eine neue Molecularbewegung, welche die Wärme in dem ozonisirten Sauerstoff hervorbringt, wird dieser wieder zu dem gewöhnlichen, der unstreitig, mit Phosphor zusammengebracht, wieder in ozonisirten überzugehen vermag.

Die Betrachtungen, welche Brodie über den Zustand mitgetheilt hat, in welchem sich gewisse Elemente in dem Augenblick chemischer Thätigkeit befinden, verdienen hier erwähnt zu werden.

„Wenn sich zwei Partikel chemisch vereinigen, so befinden sie sich in einer gewissen chemischen Beziehung zu einander, welche durch „„positiv““ und „„negativ““ bezeichnet wird – die Verschiedenheit der Zustände der auf einander wirkenden Partikel nennt Brodie die „„chemische Differenz““. – Bei dem Eintreten chemischer Verbindung zwischen den Partikeln, aus welchen zwei oder mehrere Substanzen bestehen, existirt eine chemische Differenz zwischen den Partikeln einer jeden Substanz, so dass die Partikel einer und derselben Substanz sich unter einander positiv und negativ verhalten.

Die chemische Beziehung zwischen irgend je zwei Partikeln dieser Substanz ist bedingt durch die chemische Beziehung zu allen anderen

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_120.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)