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Diese setzt sich um in dem Stromleiter in ein Aequivalent[1] Wärme oder in ein Aequivalent magnetische Zugkraft, oder wie in der Wasserzersetzung wieder in ein Aequivalent chemische Kraft.

Nirgends ist ein Ausfall – nirgends ein Ueberschuss. Wenn die Materie, wie die Materialisten sagen, unzerstörlich ist, so sind es die Kräfte auch; die Kraft stirbt nicht, ihre scheinbare Vernichtung, ihr Verschwinden ist nur eine Wandelung.

Wir wissen jetzt, woher die Wärme und das Licht stammen, welche unsere Wohnräume erwärmen und erhellen, woher die Wärme und die Kraft kommt, die unsere Körper im Lebensprocess erzeugt; alle Brenn- und Leuchtstoffe stammen aus derselben Quelle wie die Nahrung, welche zur Erhaltung der Lebenserscheinungen täglich genossen werden muss; sie stammen von der Pflanze. Die Elemente der Pflanze sind irdischer Natur; aus Wasser, aus der Erde, aus der Luft nimmt sie sie auf. In der Pflanze werden gewisse unorganische Verbindungen, die Kohlensäure, das Wasser und das Ammoniak zersetzt, der Kohlenstoff der Kohlensäure, der Wasserstoff des Wassers, der Stickstoff des Ammoniaks lagern sich in der Pflanze als Bestandtheil ihrer Organe ab, der Sauerstoff der Kohlensäure und des Wassers geht als Gas in die Atmosphäre zurück. Aber ohne Sonnenlicht wächst die Pflanze nicht.

Der Lebensprocess in der Pflanze stellt sich dar als der Gegensatz des chemischen Processes in der Salzbildung.

Kohlensaures Wasser und Zink mit einander in Berührung üben eine bestimmte Wirkung auf einander aus; in Folge ihrer chemischen Verwandtschaft entsteht unter Abscheidung von Wasserstoff eine weisse pulverförmige Verbindung, welche Kohlensäure, Zink und den Sauerstoff des Wassers enthält.

In der Pflanze tritt an die Stelle des Zinks der belebte Keim oder Pflanzentheil; indem er wächst, entstehen aus der Kohlensäure und dem Wasser unter Ausscheidung von Sauerstoff Verbindungen, welche Kohlenstoff und Wasserstoff oder Kohlenstoff und die Elemente des Wassers enthalten.

Aehnlich wie ein elektrischer Strom, der die natürliche Anziehung der Elemente des Wassers aufhebt und sie auseinander fallen macht, wirkt in dem Pflanzenleben das Sonnenlicht.

Ohne Sonnenlicht nimmt die Pflanze nicht an Masse zu; der belebte Keim, das grüne Blatt verdanken ihr Vermögen, die irdischen Elemente in belebte kräfteäussernde Gebilde umzuwandeln, der ausserirdischen Sonne; der Keim entwickelt sich unter der Erde auch ohne Mitwirkung des Sonnenlichts, aber erst durch die Sonnenstrahlen empfängt er, wenn er die Erde durchbricht, das Vermögen, die unorganischen Nahrungsmittel in Theile seiner selbst umzuwandeln; aber die leuchtenden und wärmenden Strahlen der Sonne, indem sie Leben verleihen, verlieren ihre Wärme, sie verlieren von ihrem Lichte, und wenn durch ihren Einfluss die Kohlensäure, das Wasser, das Ammoniak zersetzt worden sind, so ruht jetzt ihre Kraft in den im Organismus erzeugten Producten. Die Wärme, womit wir unsere Wohnräume erwärmen, ist Sonnenwärme, das Licht, womit wir sie beleuchten, ist von der Sonne geliehenes Licht.

  1. WS: korrigiert, im Original: Aquivalent
Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_109.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)