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liefern würde. Jeder Einzelne würde dabei Gewinn haben; denn die Steuer im Lande könnte dann ohne allen Nachtheil um 8½ Millionen Gulden vermindert werden. Man kann gegen diese Rechnung einwenden, dass die Rübenzuckerfabrikation eine Zukunft hat, dass sie, vollkommen entwickelt, Kraft genug gewinnen könne, um den ganzen Aufwand von 8½ Millionen Gulden für das Gewächshaus zu bestreiten, dass sie dann eben so viel Steuer an den Staat entrichten werde, als die Fabrikanten von den Zuckerverbrauchern empfingen. Dies ist möglich, aber die Zukunft ist dennoch nicht für den Rübenzucker, sondern für den Rohrzucker.

Auf dem Morgen des besten Landes, für welches ein jährlicher Pacht bis zu 50 Gulden entrichtet wird, gewinnt man in der Umgegend Magdeburgs durchschnittlich 10 Ctr. Zucker, welche ohne den Arbeitslohn zu ihrer Bearbeitung 40 Ctr. Steinkohlen kosten. Die Rübe enthält 10 p Ct. Zucker, wovon 7½ p Ct. gewonnen werden; die denkbar möglichen Verbesserungen bewegen sich demnach um die Gewinnung von 2½ p Ct. Zucker, die der Fabrikant verliert.

Ein Morgen Land in den Colonien, dessen Pacht weniger als den zehnten Theil der Pachtsumme in Europa beträgt, erzeugt jährlich 315 bis 350 Ctr. Zuckerrohr (nach L. Wray 25 bis 30 tons pro acre), welche 70 bis 80 p Ct. Saft liefern, in welchem sich 20 p Ct. Zucker befinden. Der Morgen Land bringt demnach in dem Vaterland des Zuckerrohrs 40 bis 50 Ctr. Zucker hervor; zugleich gewinnt man in dem ausgepressten Rohr so viel oder nahe so viel Brennstoff, als wie zur Verarbeitung des Saftes erforderlich ist.

Für gleiche Vegetationsperioden und gleiche Bodenfläche ist der absolute Ertrag des Bodens an Zucker beim Zuckerrohr um mehr wie das Doppelte grösser, als bei den Rüben.

Die Rübenzuckerfabrikanten haben vor den Colonisten voraus bessere Methoden, d. h. Ersparung von Arbeitskraft, ein für die Verarbeitung des Saftes günstigeres Klima und vielleicht eine grössere Intelligenz; dass sie überhaupt bei uns bestehen, beruht auf Zufälligkeiten, denen Niemand Dauer zuschreiben kann. Die Zuckerpflanzer sind jetzt schon unendlich unterrichteter als früher, eine völlige Revolution in ihren Methoden hat bereits begonnen, sie werden aufhören, nachlässig oder Verschwender zu sein. Es ist völlig undenkbar, dass die Zuckerpflanzer fortfahren, wie bisher von den 20 p Ct. Zucker, die ihr Saft enthält, 12 p Ct. zu verlieren und nur 8 p Ct. zu gewinnen. Ein einfaches Mittel, um die Gährung des Saftes in dem heissen Klima zu verhüten, ist wahrscheinlich jetzt schon gefunden und im Gebrauch, und ein Mehrgewinn von 4 p Ct. Zucker im Safte wird allein schon die Zuckerfabrikation in Europa unmöglich machen. [1]

  1. So stellte sich vor sieben Jahren vom wissenschaftlichen und praktischen Standpunkte aus die Frage über das Bestehen und die Dauer der Zuckerfabrikation in Europa; sie hat sich jetzt wesentlich geändert. Die Freigebung der Sclaven in den britischen Colonien hat seit dieser Zeit zur Folge gehabt, dass ein regelmässiger Betrieb der Rohrzuckerfabrikation mit freien Negern kaum mehr möglich ist. Ausser in der Zucker-Ernte, welche für die Neger mehr ein Fest als Arbeit ist, fehlt es den Pflanzern an der ihnen unentbehrlichen Arbeitskraft, sie können über die zur Bebauung der Felder nöthigen Hände weder in der Zahl noch zu rechter Zeit verfügen und es hat sich darum die Fabrikation des Rohrzuckers trotz der so günstigen klimatischen und Bodenverhältnisse in diesen Gegenden eher vermindert als dem Verbrauche entsprechend vermehrt; früher blühende und reiche Zuckerplantagen sind verödet und von den Besitzern verlassen worden, da sie selbst zu den niedrigsten Preisen nicht verwerthet werden können. Man hat auf Cuba und auch auf einigen britischen Colonien in der Einfuhr freier Arbeiter aus China und Indien eine Hülfe gesucht und die Zukunft der europäischen Zuckerfabrikation wird von dem Erfolg derselben abhängig sein, und wenn es sich herausstellen sollte, dass die Zuckerfabrikation in den tropischen Gegenden und die Sclaverei in der Praxis nicht von einander trennbar sind, so ist das Aufkommen der Rübenzuckerfabrikation in Europa für das Menschengeschlecht ein wahrer Segen gewesen.

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)