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welche Kluft bis zu uns, wo Schmutz und Unreinlichkeit gleichbedeutend sind mit Elend und dem unerträglichsten Missgeschick!

Die Seife gehört endlich zu denjenigen Producten, deren Capitalwerth unausgesetzt aus der Circulation verschwindet und wieder erneuert werden muss; es ist eins der wenigen Producte der Industrie, welche nach dem Gebrauch, wie Talg und Oel, die man als Erleuchtungsmittel verbrennt, absolut werthlos werden. Mit alten Glasscherben kann man Fensterscheiben und mit Lumpen Kleider kaufen, mit Seifenwasser lässt sich aber in unseren Haushaltungen nichts anfangen. Man hat zwar in manchen grossen Wäschereien versucht, das Seifenwasser zu sammeln, und durch Schwefelsäure die fetten Säuren abzuscheiden; wenn diese bis zur Zerstörung der beigemischten Unreinigkeiten erhitzt werden, so können sie wieder zu einer geringen Sorte Seife verwendet werden, aber diese stellt nur eine sehr kleine Menge des Fettes wieder dar, welches in den Haushaltungen verloren geht. Eine Ausmittelung des Capitals, welches durch die Seifensiederei im Umlauf erhalten wird, wäre von grossem Interesse; denn es ist sicher eben so bedeutend als dasjenige, welches im Kaffeehandel circulirt, mit dem Unterschiede, dass das Capital der Seifenfabrikation zum grossen Theil auf unserm Grund und Boden entsteht.

Für Soda allein gingen von Frankreich aus jährlich 20–30 Millionen Franken nach Spanien, denn die spanische Soda war die beste. Der Preis der Seife und des Glases stieg während der Kriege mit England beständig, alle Fabrikationen litten darunter. Das heutige Verfahren der Darstellung der Soda aus Kochsalz, welches Frankreich bereicherte, wurde damals von Le Blanc entdeckt.

In ganz kurzer Zeit nahm die Sodafabrikation in Frankreich einen ungewöhnlichen Aufschwung, in dem grössten Massstab entwickelte sie sich an dem Sitz der Seifenfabrikation. Marseille besass, wiewohl nur auf kurze Zeit, das Monopol der Soda- und Seifenfabrikation zugleich. Der Hass einer erbitterten Bevölkerung, die ihre Haupterwerbsquelle, den Sodahandel, unter Napoleon eingebüsst hatte, kam durch eine seltene Vereinigung von Umständen der nachfolgenden Regierung zu gut.

Um das Kochsalz in kohlensaures Natron überzuführen, muss es – dies ist der Gang der Fabrikation – vorher in Glaubersalz (schwefelsaures Natron) verwandelt werden; hierzu sind auf 100 Pfund Kochsalz im Durchschnitt 80 Pfund concentrirte Schwefelsäure erforderlich. Man sieht wohl ein, nachdem der Preis des Kochsalzes auf ein Minimum reducirt war, wozu sich die Regierung aufs Bereitwilligste entschloss, wurde der Preis der Soda abhängig von dem der Schwefelsäure.

Die Nachfrage nach Schwefelsäure stieg in’s Ungeheure, von allen Seiten flossen die Capitalien diesem gewinnreichen Gewerbszweige zu, die Entstehung und Bildung der Schwefelsäure wurde auf das Genaueste studirt, man kam von Jahr zu Jahr auf bessere, einfachere und wohlfeilere Gewinnungsmethoden. Mit jeder neuen Verbesserung fiel der Preis der Schwefelsäure und ihr Absatz nahm im nämlichen Verhältniss zu. Die Gefässe, worin man Schwefelsäure darstellt, sind von Blei; ihr Umfang ist jetzt so gewachsen, dass man in eins dieser Gefässe (Bleikammer) ganz bequem ein mässig grosses zweistöckiges Haus stellen kann. Was das Verfahren und die Apparate betrifft, so hat die Schwefelsäurefabrikation

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_088.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)