Seite:De Chemische Briefe Justus von Liebig 083.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


ihr zehn- und zwanzigfaches, bei manchen Gasen, wie bei Ammoniak- und Salzsäuregas, sogar ihr siebenzig- und neunzigfaches Volumen einzusaugen und zu verdichten, kein Räthsel mehr. Diese Gase befinden sich in den Poren der Kohle in einem mehrere hundertmal kleineren Raum eingeschlossen; es konnte jetzt nicht bezweifelt werden, sie waren zum Theil flüssig geworden, oder hatten festen Zustand angenommen. Wie in tausend anderen Fällen ersetzte hier die chemische Anziehung die mechanischen Kräfte; der Begriff von Adhäsion erhielt eine grössere Ausdehnung; bisher war damit eine Zustandsänderung nicht vereinbar, jetzt war Ursache des Anhaftens eines Gases an der Oberfläche eines festen Körpers der Gegensatz der Auflösung.

Das kleinste sichtbare Theilchen eines Gases, der Luft z. B., kann durch mechanischen Druck in einen mehrere hundertmal kleineren Raum zusammengepresst werden; es besteht aus einer grossen Zahl viel kleinerer nicht sichtbarer Theilchen, deren Fläche sich gegen die messbare Fläche eines festen Körpers verhält, wie die eines Hollundermarkkügelchens zu einem Berge. Durch die blosse Massenwirkung als Effect der Schwere müssen die Gastheilchen von dem festen Körper angezogen werden und an seiner Oberfläche haften. Kommt nun dazu noch eine, wenn auch nur schwache, chemische Wirkung, so können die Gase ihren luftförmigen Zustand nicht behaupten.

Die Verdichtung der Lufttheilchen auf einem Quadratzoll Fläche ist freilich kaum bemerkbar; wenn wir aber einen Cubikzoll von einem porösen Körper, dessen Porenoberfläche einige 100 Quadratfuss beträgt, in ein verhältnissmässig kleines Volum Gas bringen, so sieht man, dass alle Gase ohne Unterschied am Volum abnehmen, sie werden, wie man sagt, absorbirt; die Poren eines Cubikzolles Buchsbaumkohle haben aber im geringsten Fall eine Oberfläche von 100 Quadratfuss.

Die Eigenschaft, Gase zu absorbiren, nimmt bei den verschiedenen Kohlenarten mit der Anzahl ihrer Poren in einem begrenzten Raume zu, d. h. die mit grossen Poren absorbiren weit weniger als die Kohlen mit kleinen Poren.

So sind denn alle porösen Materien, die porösen Gebirgs- und Steinarten, die Ackerkrume, wahre Luft- und damit Sauerstoffsauger; jedes kleinste Theilchen davon umgiebt sich mit einer eigenen Atmosphäre von verdichtetem Sauerstoff, und finden sich in seiner Nähe andere Materien vor, die sich mit diesem Sauerstoff verbinden können, kohlenstoff- und wasserstoffhaltige Körper z. B., so verwandeln sich diese in Nahrungsstoff für die Vegetation, in Kohlensäure und Wasser. Die Wärmeentwickelung bei dem Aufsaugen dieser Luft, oder des Wasserdampfes, oder beim Benetzen der Erde durch Regen ist als Folge einer Verdichtung durch eben diese Flächenwirkungen erkannt.

Den merkwürdigsten Sauerstoffsauger hat man in dem metallischen Platin gefunden. Dieses glänzende Metall lässt sich bei seiner Abscheidung aus Flüssigkeiten in so hohem Grade fein zertheilt darstellen, dass seine kleinsten Theilchen das Licht nicht mehr spiegeln, es sieht alsdann schwarz wie Kienruss aus. In diesem Zustand absorbirt es mehr wie 800mal von dem Volumen seiner Poren an Sauerstoffgas, und dieser

Empfohlene Zitierweise:
Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_083.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)