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seine Verdunstung wird in diesem Zustande ausnehmend aufgehalten und verlangsamt [1].

Ein trauriges Beispiel hat indess die ausserordentliche Gefahr der Darstellung der Kohlensäure durch Einwirkung von Schwefelsäure auf doppelt kohlensaures Natron, welche von einer starken Wärmeentwickelung begleitet ist, augenscheinlich gemacht. Unmittelbar vor dem Beginn der Vorlesung zersprang während der Bereitung in dem Laboratorium der pharmaceutischen Schule zu Paris der gusseiserne Cylinder (von 1½ Fuss Länge und 1 Fuss Durchmesser), in dem man die Kohlensäure entwickelt hatte, und die Bruchstücke desselben, mit der furchtbarsten Gewalt aus einander fahrend, schlugen dem anwesenden Assistenten beide Beine ab, was seinen Tod zur Folge hatte. Man kann nicht ohne Grausen an das Unglück denken, welches das Zerspringen dieses Gefässes von dem stärksten Gusseisen, ganz ähnlich einer Kanone, in einem von Zuhörern vollgepfropften Saale verursacht haben würde, und dieses Gefäss hatte oftmals schon zu der nämlichen Darstellung gedient, was in der Idee jeden Schatten von Gefahr beseitigte.

Dadurch, dass man die Entwickelung der Kohlensäure und ihre Flüssigmachung jetzt in zwei gesonderten Apparaten vornimmt, wird ihre Darstellung ganz gefahrlos. Zum Flüssigmachen des Gases bedient man sich einer gewöhnlichen Druckpumpe, durch welche das Gas in ein starkes Gefäss von Schmiedeeisen gepresst wird, welches den zehn- und mehrfachen Druck des Gases der flüssigen Kohlensäure, ohne zu zerspringen, aushalten kann.

Seitdem man weiss, dass die meisten Gase durch Druck oder Kälte flüssig werden, war die so merkwürdige Eigenschaft der porösen Kohle,

  1. Der Grund dieser Erscheinungen ist leicht einzusehen. Die Temperatur des Metalls kann weit über die Glühhitze hinaus gesteigert werden, die des Wassers nimmt aber über seinen Siedepunkt hinaus in freier Luft nicht mehr zu. Wenn die Temperatur des Eisens steigt, so nimmt die Anziehung der Eisentheilchen zu einander und zu den Wassertheilchen ab; indem die Anziehung der Wassertheilchen zu den Eisentheilchen kleiner wird, bleibt die Anziehung der Wassertheilchen zu einander unverändert, weil ihre Temperatur nicht mehr steigt. Bei einem gewissen Wärmegrad ist die Anziehung der Wassertheilchen zu einander grösser und die Benetzung hört damit auf. Mit der Aufhebung der Benetzung wird der Wärmeübergang von dem glühenden Metalle zu der Flüssigkeit gehindert.

    Alle verdampfbaren Flüssigkeiten verhalten sich zu dem Wasser unter denselben Umständen ganz ähnlich. Flüssige schweflige Säure behält, in einen rothglühenden Silber- oder Platintiegel gegossen, ihren sphäroidalen Zustand bei, ihre Temperatur steigt nicht über ihren Siedepunkt und da dieser 10 Grad tiefer als der Gefrierpunkt des Wassers liegt, so kann man Wasser, welches man in einem kleinen Gefäss in die Säure hineinhält, in dem glühenden Tiegel gefrieren machen. Ebenso verhält sich ein Gemenge von schwefliger Säure oder Aether mit fester Kohlensäure in einem glühenden Metallgefässe. Das Gemenge braucht, um in Gas überzugehen, beinahe eben so viel Zeit, wie in freier Luft in gewöhnlicher Temperatur. Setzt man in dieses Gemenge ein kleines Gefäss mit Quecksilber, so gefriert das Quecksilber und wird fest. Es ist wohl bekannt, dass man die feuchte oder befeuchtete Hand in geschmolzenes Blei, ja in weissglühendes Kupfer oder Eisen tauchen und langsam darin herumbewegen kann, ohne sie zu verbrennen, ja ohne den ungeheuren Hitzegrad zu spüren, während heisses Eisen oder Kupfer (nicht glühend) sogleich eine Blase oder Brandwunde verursacht. Darauf beruhte eben der Kunstgriff der alten Priester in der Feuerprobe, sie vertraten das Geschworenengericht und wussten die Menge von der Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu überzeugen.

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_082.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)