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zeigte bald, dass es reine gefrorene Kohlensäure war, deren Temperatur mindestens 80 Grad tiefer ist, als der Gefrierpunkt des Wassers.

Bei dieser niedrigen Temperatur verhält sich die Kohlensäure ähnlich wie Schnee; sie kann gleich diesem einer höheren Temperatur ausgesetzt werden, ohne, so lange noch fester Stoff vorhanden ist, über eine gewisse Temperaturgrenze, nämlich ihren Schmelzpunkt, erwärmt zu werden. In der freien Luft verdunstet sie fortwährend, jedoch langsam, verglichen mit dem Verhalten der flüssigen, also wärmeren Kohlensäure. Denn das Bestreben eines Körpers, Gasform anzunehmen, ist viel weniger eine Eigenschaft seines Stoffes, als die seines Wärmeinhaltes. Die feste Kohlensäure kann daher nur in dem Masse verdunsten, als sie Wärme von aussen empfängt; der freien Luft ausgesetzt, ja, in eine glühende Schale geworfen, behauptete sie unter fortwährender Verdunstung ihre feste Gestalt und, so lange diese dauert, ihre niedrige Temperatur. Ein rascheres Zuströmen von Wärme befördert ihren Uebergang in Gas, ändert aber sonst nichts in der Beschaffenheit der zurückbleibenden Kohlensäure. Nimmt man feste Kohlensäure in die Hand oder zwischen die Finger, so empfindet man nur wenig von ihrer erstaunlichen Kälte, weil sie bei ihrem lockeren Gefüge ähnlich wie kalte Schneeflocken nur wenige Berührungspunkte der Haut darbietet, mithin derselben nur wenig Wärme entziehen kann. Drückt man aber die erstarrte Kohlensäure auf die Haut fest an, so wird an den berührten Stellen sogleich, wie durch ein schwach glühendes Metall, der Kreislauf des Blutes aufgehoben, es entsteht ein weisser Fleck, in 15 Secunden eine Blase und in 2 Minuten eine weisse Vertiefung, dann Vereiterung und Heilung der Narbe.

Der weisse, feste Schnee der Kohlensäure wird durch Aether, den man aufgiesst, benetzt, und es theilt sich ihr hoher Kältegrad dem Aether sowohl, wie allen Körpern mit, welche dieser benetzt. Zehn und mehr Pfunde Quecksilber werden in Berührung mit einem Gemenge von fester Kohlensäure und Aether in einigen Augenblicken fest und hämmerbar. Wird das Gemenge von Aether und Kohlensäure in den luftleeren Raum gebracht, so entsteht in Folge der gesteigerten Verdunstung ein so hoher Kältegrad (-100° C. -110° C.), dass die meisten zusammengesetzten Gase darin flüssig werden und viele zu festen Massen erstarren (Faraday).

Die Benetzung ist die erste und wichtigste Bedingung eines raschen Wärmeübergangs oder einer raschen Wärmeentziehung. Das Zerfliessen und Anhaften eines Wassertropfens auf Glas, Holz, Metall beruht auf einer chemischen Anziehung, welche zwischen den Theilen der Oberfläche des festen Körpers und der Flüssigkeit offenbar grösser ist als die Anziehung, welche die Flüssigkeitstheilchen zu einander haben; wäre die letztere grösser, so würde die Flüssigkeit ihre sphäroidale Form behaupten, der feste Körper würde davon nicht benetzt werden. Dies ist der Grund, warum Quecksilber auf Zinn zerfliesst, während es auf Glas seine Kugelform behält.

Hieraus erklärt sich die unter dem Namen des Leidenfrost’schen Versuchs bekannte merkwürdige Erscheinung. Ein Tropfen kaltes, oder besser siedendes Wasser auf eine glühende Eisenplatte gespritzt, tanzt darauf herum, er behält seine sphäroidale Gestalt und indem er die Platte nicht benetzt, empfängt er nur wenig Wärme von derselben;

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_081.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)