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Ohne Platin wäre eine Mineralanalyse nicht ausführbar. Das Mineral muss aufgelöst, es muss aufgeschlossen, d. h. zur Auflösung vorbereitet werden. Glas und Porcellan, alle Arten von nicht metallischen Schmelztiegeln, werden durch die zur Aufschliessung dienenden Mittel zerstört, Tiegel von Silber und Gold würden in hohen Temperaturen schmelzen; das Platin ist wohlfeiler als Gold, härter und dauerhafter als Silber, in den gewöhnlichen Temperaturen unserer Oefen unschmelzbar, es wird durch Säuren, es wird von kohlensauren Alkalien nicht angegriffen, es vereinigt in sich die Eigenschaften des Goldes und des unschmelzbaren Porcellans. Ohne Platin würde heute vielleicht die Zusammensetzung der meisten Mineralien noch unbekannt sein. Ohne Kork und Kautschuk würden wir den Mechanikus bei allen unseren Arbeiten nicht entbehren können. Ohne Kautschuk allein wären die Apparate kostspieliger und zerbrechlicher; aber der Hauptvortheil, den beide gewähren, liegt in dem Gewinn an der unendlich kostbareren Zeit.

Das Laboratorium des Chemikers ist heutzutage nicht mehr das feuerfeste, dumpfe, kalte Gewölbe des Metallurgen, oder das mit Retorten und Destillirapparaten überladene Laboratorium des Pharmaceuten, es ist ein helles, freundliches Zimmer; statt der Schmelzöfen und Kohlen dienen ihm vortrefflich construirte Lampen; sein Feuer giebt ihm die reine und geruchlose Weingeist- oder Gasflamme. Mit diesen einfachen Hülfsmitteln, wozu noch die Wage kommt, macht der Chemiker seine umfassenden Untersuchungen.

Wägen und Messen unterscheidet die Chemie von der Physik, ja es giebt zwischen beiden keinen anderen Unterschied. Seit Jahrhunderten haben die Physiker gemessen, allein erst seit 50 Jahren fingen sie an zu wägen. Alle grossen Entdeckungen Lavoisier’s, er verdankt sie der Wage, diesem unvergleichlichen Instrumente, das alle Beobachtungen und Entdeckungen fest hält, die Zweifel besiegt und die Wahrheit an’s Licht stellt, was uns zeigt, dass wir uns geirrt haben, oder dass wir uns auf dem wahren Wege befinden. Mit der Wage hat das Reich des Aristoteles ein Ende; seine Methode, die Erklärung einer Naturerscheinung zu einem Spiele des Geistes zu machen, machte der eigentlichen Naturforschung Platz; drei von seinen Elementen waren von da an nur Bilder für Zustände. Alles Bestehende auf der Erde besass nach wie vor den Zustand der Festigkeit, der Flüssigkeit oder der Luftform; allein Erde, Wasser und Luft gehörten als Elemente der Geschichte an, das Feuer war der sichtbare und fühlbare Repräsentant einer Aenderung dieser Zustände.

Die Ermittelung der Zusammensetzung der festen Erdrinde war die Hauptaufgabe für die auf Lavoisier folgende Generation; die Zusammensetzung der Atmosphäre, die des Wassers, sie war von ihm festgestellt. Zu den 18 Metallen, die man kannte, kamen als Bestandtheile von Mineralien 34 neue. Die grosse Kluft zwischen dem Sauerstoff und den Metallen, sie füllte sich zu einem allmählichen Uebergang. Die Hauptmasse der Mineralien zeigte sich aus zwei und mehr Oxyden in festen, unveränderlichen Verhältnissen zusammengesetzt, als Verbindungen von metallischen Oxyden einerseits, mit anderen Oxyden, deren Radicale, Kohle oder Silicium, in ihren Eigenschaften von den Metallen wesentlich abwichen. Eine andere Classe von Mineralien waren Schwefelverbindungen, Sulphide, in denen Schwefel die Rolle des Sauerstoffs spielte; bis auf

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_078.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)