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Wassers krystallisirenden Theilchen des Thonerde-Alauns auf den Flächen des Chromalaunkrystalls ganz so ab, wie wenn es Chromalauntheilchen wären. Diejenige Fläche nimmt am raschesten an Grösse zu, welche den Boden des Gefässes berührt, und wenn man täglich den Krystall wendet und alle Flächen gleichmässig wachsen macht, so hat man zuletzt ein regelmässiges Oktaëder von weissem, durchsichtigem Thonerde-Alaun, in dessen Mitte sich als Kern ein im durchfallenden Lichte rubinrothes regelmässiges Oktaëder von Chromalaun befindet.

In ganz gleicher Weise können wir die Schwefelsäure des Alauns ausscheiden und durch die ähnlich zusammengesetzte Chromsäure und Selensäure ersetzen, das Kali durch Ammoniumoxyd, ohne seine Krystallform im mindesten zu ändern, und es hat sich ergeben, dass nicht nur in dem einen Beispiel, in dem Alaun, nein, dass überall, in allen Fällen, wo Thonerde, Eisenoxyd, Chromoxyd, Manganoxyd, oder Schwefelsäure, Chromsäure und Selensäure, oder Kali und Ammoniumoxyd sich in Verbindungen vertreten, die Form der neuen Verbindung unverändert bleibt; nur in dem Fall, wenn in Folge dieser Vertretungen ein neuer Bestandtheil zu-, oder einer der vorhandenen übrigen Bestandtheile austritt, sieht man, dass sich auch die Krystallform ändert, indem die Zusammensetzung alsdann unähnlich wird.

Alle die sich in ähnlichen Verbindungen ohne Aenderung der Krystallgestalt vertretenden Körper hat man nach und nach kennen gelernt und in Gruppen geordnet; sie haben den diese Eigenschaft sehr gut bezeichnenden Namen isomorphe (gleichgestaltige) Substanzen erhalten. So sagt man, sind Chlor, Brom, Jod, Cyan, Fluor, oder Kalk, Bittererde, Eisen- und Manganoxydul isomorph, womit man also meint, dass ihre ähnlich zusammengesetzten Verbindungen gleiche Krystallgestalt haben und sich ohne Aenderung der Krystallform in Verbindungen zu vertreten vermögen.

Es wird Niemandem entgehen, dass ein Alaunkrystall in ganz unbestimmten und wechselnden Mengen Chromoxyd und Thonerde, oder Kali und Ammoniumoxyd enthalten kann, ohne dass er deshalb aufhört, ein Alaunkrystall zu sein und für Alaun angesehen zu werden; dass es gerade in der Eigenthümlichkeit der isomorphen Substanzen liegt, sich einander nicht in einzelnen unveränderlichen, sondern in allen möglichen Verhältnissen zu vertreten.

Das eben erwähnte Verhalten dieser Verbindungen schien den früher schon erkannten Gesetzen über die festen und constanten Verbindungsverhältnisse entgegenzustehen; allein mit der Kenntniss des letzten Grundes, der gleichen Gestalt und gleichen Anziehung ihrer Theilchen, erklärte sich die Abweichung auf die einfachste und genügendste Weise.

Ganz besonders wichtig und bedeutungsvoll wurde die schöne, von einem Deutschen (Mitscherlich) gemachte Entdeckung für die Mineralogie. Bei dem Versuche, die Mineralien nach ihren Bestandtheilen und ihrer Zusammensetzung zu ordnen, ergaben sich zahllose Verwickelungen und Schwierigkeiten; die gewissenhaftesten Chemiker widersprachen sich in der Zusammensetzung der am besten charakterisirten Mineralien. So fand der Eine in dem Granat von Arendal über 13 Procent Bittererde, die in dem von Fahlun, vom Vesuv etc. gänzlich fehlte; in dem edlen Granat

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_072.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)