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sie sind untheilbar in Hinsicht auf die Existenz von Kräften, die von ihnen etwas Materielles losreissen, oder ihre Gestalt und Grösse in einem so bemerklichen Grade zu ändern vermöchten, dass damit ihr Verhältniss zu den anderen Himmelskörpern gestört werden könnte; aber sie sind nicht untheilbar an sich. Das Weltall stellt in diesem Sinne einen grossen Körper dar, dessen Atome, die Himmelskörper, untheilbar und unveränderlich sind.

Der atomistischen Ansicht gemäss ist demnach ein Stück Glas, ein Stück Zinnober, ein Stück Eisen etc. ein Haufwerk von Atomen Glas, Zinnober, Eisen, deren Zusammenhang durch die Cohäsionskraft bedingt wird; das allerkleinste denkbare Theilchen Eisen ist immer Eisen, aber was den Zinnober betrifft, so wissen wir mit der grössten Bestimmtheit, dass ein physikalisch nicht weiter in kleinere Theile spaltbares Theilchen Zinnober noch kleinere Theile enthält, nämlich Schwefel- und Quecksilbertheilchen, von denen wir sogar das Gewichtsverhältniss kennen, in welchem beide darin vorhanden sind.

Das Eisen besteht aus gleichartigen Atomen Eisen, der Zinnober aus gleichartigen Atomen, von denen jedes Zinnober ist; aber diese letzteren sind nicht einfach, wie die des Eisens, sondern sie sind einer weiteren Spaltung fähig; für die Sinne sind sie gleichartig, allein wir wissen, dass sie zusammengesetzt sind; wir können durch Reiben, Pulvern, Feilen etc. ein Stück Zinnober in viel kleinere Stückchen zertheilen, allein durch keine mechanische Gewalt sind wir im Stande, die Kraft zu überwinden, mit welcher die ungleichartigen Theilchen, die Bestandtheile eines zusammengesetzten Atoms zusammengehalten werden. Darin unterscheidet sich eben die chemische Verwandtschaft von der Cohäsionskraft, dass sie sich nur bei Berührung der ungleichartigen Atome thätig zeigt, und da sich die Atome einander nicht durchdringen können, so folgt von selbst, dass die zusammengesetzten Atome durch Nebeneinanderlegung der einfachen, in Folge der zwischen ihnen thätigen Verwandtschaftskraft entstehen; sie gruppiren sich zu zwei, drei, zu hundert etc., und jede dieser Gruppen stellt einen gleichartigen Theil der ganzen Masse dar. Wir können uns das kleinste Theilchen Zinnober als eine Gruppe von zwei Atomen denken, von denen das eine ein Quecksilberatom, das andere ein Schwefelatom ist.

Wenn man erwägt, dass tausend Pfund Zinnober das nämliche Verhältniss Schwefel und Quecksilber enthalten, wie ein Pfund oder ein Gran, und sich denkt, dass ein Stück Zinnober eine Million Zinnoberatome enthalte, so ist klar, dass in einem einzigen Atom, wie in der Million Atome, sich stets für je 16 Schwefel 100 Quecksilber befindet. Zerlegen wir den Zinnober durch Eisen, so tritt das Quecksilberatom aus und sein Platz wird nun von einem Eisenatom eingenommen. Ersetzen wir den Schwefel im Zinnober durch Sauerstoff, so tritt ein Sauerstoffatom an die Stelle des Schwefelatoms.

Man sieht leicht ein, dass nach dieser Vorstellung über die Zusammensetzung der Körper und ihre gegenseitige Vertretung die Aequivalentenzahlen nichts anderes ausdrücken, als das relative Gewicht der Atome. Wie schwer ein einzelnes Atom wiegt, sein absolutes Gewicht, ist nicht bestimmbar, wie viel das eine aber mehr Gewicht mitbringt in eine chemische Verbindung, als das andere, das relative Gewicht der Atome,

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_067.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)