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gebildet, und noch zur Zeit der Verbrennung der grossen Büchersammlung durch die Araber war Alexandrien der Sitz und der wichtigste Zufluchtsort griechischer Wissenschaft. In diesem geistig frischen Volke, in welchem der Fatalismus Mohameds, im Widerspruch mit der Entwickelung der Heilkunde, so wie die Gebote ihres religiösen Gesetzbuches, welche das Grübeln ausdrücklich untersagten, die Pflege der Wissenschaften, der Medicin, der Astronomie, der Mathematik, nicht zu hindern vermochten, fanden die Vorstellungen der alexandrinischen Gelehrten über Metallverwandlung einen empfänglichen, vorbereiteten und fruchtbaren Boden.

Zur Zeit als Bagdad, Bassora und Damaskus Mittelpunkte des Welthandels waren, gab es kein Volk der Erde, welches geschickter und thätiger im Erwerb und begieriger nach Gewinn und Gold war, als die Araber. In ihren Märchen und Sagen sind uns die Lieblingswünsche der damaligen Zeit, die bewegenden Ursachen der Thätigkeit des Volkes aufbewahrt. Während die Elfen und Nixen, die Zwerge und Undinen der germanischen Sagen Spender von Schwertern waren, denen kein Feind widerstand, oder von Salben, welche alle Wunden heilten, von Bechern, die sich niemals leerten, oder Tischen, die immer gedeckt waren, sind die Geister der Tausend und einen Nacht stets die Bewahrer von unermesslichen Schätzen, die Hüter von Gärten mit Bäumen von Gold und Früchten von edlen Steinen. Die Wunderlampe der arabischen Erzähler, durch welche der Mensch in den Besitz dieser Herrlichkeiten gelangen konnte, war offenbar als etwas eben so Erreichbares und Wirkliches angesehen, als wie die Besen, auf welchen viele Jahrhunderte später die Hexen auf den Blocksberg ritten, um in rasenden Tänzen die Walpurgisnacht zu feiern; sie gestaltete sich in Aegypten in den Steinen der Weisen.

Durch die arabischen Hochschulen wurde das Streben nach der Auffindung des Steins der Weisen und damit der Erwerb chemischer Kenntniss und die ganze wissenschaftliche Richtung dem nordwestlichen Europa mitgetheilt. Nach dem Muster der Hochschulen zu Cordova, Sevilla, Toledo, welche seit dem 10. Jahrhundert von Wissbegierigen aus allen Ländern besucht wurden, entstanden zu Paris, Salamanca, Padua etc. Sitze der Wissenschaften, und dem Culturzustand der damaligen Zeit gemäss wurden die christlichen Geistlichen die alleinigen Besitzer und Verbreiter der Forschungen der arabischen Gelehrten; noch viele Jahrhunderte später blieb die sprichwörtlich gewordene dunkle Erklärungsweise der ägyptischen Priester, ihr mystischer, bilderreicher, mit religiösen Ideen gemischter Styl der Alchemie eigenthümlich.

Aus den Schriften Geber’s, des Plinius des achten Jahrhunderts, ergiebt sich ein Umfang von chemischen Erfahrungen, welcher für diese Zeit Bewunderung erweckt und die Theorien der grossen Naturforscher des 13. Jahrhunderts, Roger Baco’s und Albert’s von Bollstadt (Albertus Magnus, Bischof in Regensburg), können an Ideenreichthum und umfassender Naturanschauung nur mit denen der neueren naturphilosophischen Schulen verglichen werden.

Wie wir noch heute die Körper nach ihrer Aehnlichkeit oder Gleichheit in gewissen Eigenschaften in Gruppen ordnen, ganz so geschah dies zu Geber’s Zeit. Die Metalle haben gewisse Grundeigenschaften gemein, der Metallglanz gehört allen an, es giebt Metalle, welche im Feuer

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Justus von Liebig: Chemische Briefe. Leipzig und Heidelberg 1878, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Chemische_Briefe_Justus_von_Liebig_027.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)