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als ein kleines vierjähriges Mägdlein, das mit seiner grundbösen Mutter ins Zuchthaus gekommen war, und oft unbeachtet umherlief. Vielleicht auch dachten sie, das arme Kind, an diesem Orte aufwachsend, unfehlbar der Sünde verfallen, vor dem größeren Unglück zu retten, und ein gutes Werk zu thun, wenn sie es so jung und unschuldig tödteten. Daß sie gleich nach der Unthat in ein anderes, einsames Gefängniß kommen würden, das wußten sie, und darauf freueten sie sich, wie auch auf die Verhöre und das peinliche Gericht. In welch’ einem Labyrinthe von sündlichen oder kranken Vorstellungen müssen sie – ohne den herausleitenden Faden – verloren gewesen sein, – welch’ Uebermaaß trostloser Qualen mag aber auch dazu beigetragen haben, sie einer solchen Verzweiflung zu überliefern.

Am Abend der heiligen drei Könige sollte es geschehen. Bevor es dunkelte, nahmen sie das willig folgende Kind mit sich in die Zuchthaus-Kirche, die immer vom Hofe aus offen stand. Sie waren entschlossen zur That. Die Eine setzte sich, nahm das Kind auf den Schooß und entblößte ihm den Hals, die Andere hielt ein verheimlichtes Messerchen schon in der Hand. Da plötzlich hebt das Kind, als es sich in der Kirche sieht, die kleinen Hände gefaltet in die Höhe, und beginnt leise und andächtig ein Abendgebet herzusagen. Und dies Gott geweihte Lallen der Unschuld trifft das Herz der Beiden allmächtig, und entwaffnet ihre Hand wie ihren Willen. Das gehobene Messer sinkt, die verwilderten Gedanken sammeln sich zur Einkehr in die Seele, in deren Nacht nun ein Lichtstrahl dringt. Die Eisrinde, welche das Elend um ihre Herzen gelegt hatte, schmilzt; eine Thränenfluth, als sie sich hervorgerungen, entströmt unaufhaltsam ihren Augen, und benetzt das Kindlein auf ihrem Schooße, das nun, da es gerettet ist, erschreckt aufblickt und ängstlich

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Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_348.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)