Seite:De Beneke Hamburgische Geschichten und Sagen 224.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und mit einem darüber gehängten sehr langen Mantel oder Talar, übrigens aber baarfuß. Ob nun auch er die Aufmerksamkeit Vieler erregt hat, so ist in seimem Benehmen doch nichts als die inbrünstigste Andacht und Demuth zu erkennen gewesen; der Kanzel grade gegenüber hat er gestanden, und den Pastor (der darüber beinah aus dem Contexte gefallen) aufmerksam angeblickt, um kein Wort der Predigt zu verlieren; und jedesmal bei Nennung des Namens unseres Heilandes hat er sich äußerst tief und ehrerbietig verneigt, an seine Brust geschlagen und dabei merklich geseufzet. Nach dem Gottesdienste ist er gesenkten Hauptes still hinaus gegangen.

Unter den Kirchgängern ist nun auch Paul von Eitzen gewesen, eines hiesigen Bürgers Sohn, damals grade von Wittenberg, allwo er Theologie studieret, zum Besuch hier anwesend. Der hat aus Wißbegier dem befremdlichen Manne weiter nachgeforscht, und bei einigen weitgereisten Bekannten erkundet, daß ein ähnlicher Pilgrim an unterschiedlichen Orten des Morgenlandes gesehen sei, und daß man ihn Ahasverum, den ewigen Juden, nenne, weil er nicht sterben könne. Paul von Eitzen hat nun fleißig nachgespüret, wo derselbige Mann hier verkehre, hat ihn endlich in einer geringen Herberge angetroffen, und ihn gefragt, wer er wäre. Darauf hat der Pilgrim ganz bescheidentlich und höflich geantwortet, und hat von sich ausgesagt: daß er zur Zeit des Heilandes schon gelebt habe, und in Jerusalem, wo er auch gebürtig, als Schuhmacher angesessen gerwesen und Ahasverus heiße. Und weiter hat er berichtet: wie er damals unsern Herrn Christus nicht für den Heiland, sondern für einen Sectirer und Aufrührer gehalten, darum er ihn gehasset, und mit anderm Volke vor Pilatus Thüre seine Kreuzigung begehret habe. Und wie dann der Herr zur Richtstätte geführet sei, habe er mit seinem Kinde und Gesinde vor der Thüre

Empfohlene Zitierweise:
Otto Beneke: Hamburgische Geschichten und Sagen. Hamburg: Perthes-Besser & Mauke, 1854, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Beneke_Hamburgische_Geschichten_und_Sagen_224.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2019)