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glänzendsten neuen Kleider machen lassen und alle ihre besten Perlen und Juweelen ins Haar und vor die Brust gesteckt; aber wie sehr sie auch blitzten, schön wurden sie dadurch doch nicht sondern erleuchteten nur ihre Häßlichkeit. Die alte Hexe aber, als sie es von der Bergspitze herab funkeln sah und klingen hörte, schmunzelte bei sich: Hab’ ich es nicht gedacht? Gewiß er hat das Aug auf eine meiner Töchter geworfen – und Juchhe! sey fröhlich, Königin Mutter! denn warum hätte er seinen Ballsaal grade oben auf dem Berge gebaut, wenn er nicht verblümt sagen wollte: Kommt herauf und leuchtet, ihr Sterne der Schönheit, die ihr unten im Thale verborgen funkelt, und verdunkelt hier oben meine Fackeln und Kerzen? Und mit diesen stolzen Gedanken setzte sie sich mit ihren beiden Töchtern in den Wagen und sechs prächtige Schimmel trabten mit ihnen den Berg hinan.

Alles war aus dem Schlosse gelaufen, damit es die Herrlichkeit da oben mit ansähe. Aschenbrödel allein war zurückgeblieben – denn die alte Here hatte geboten: hüte mir das Schloß, Aschenbrödel, und weiche nicht von der Stelle – und sie stand traurig in des Hauses Hinterthüre und schaute mit wehmüthiger Sehnsucht zu dem Glanze und Klange hinauf. Denn das Eine Bild, das ihr in ihren Kindertagen an dem Gartenzaun erschienen war, blühete ewig in ihrem zärtlichen Seelchen. Und als sie so einsam und traurig da stand, flog gleich das weiße Täubchen zu ihr hinab, und setzte sich auf ihre Schulter, und streichelte ihr mit den weichen Flügeln die Wangen, und sah ihr so wunderfreundlich in die sehnsüchtigen Augen.

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_310.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)