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denn draußen war im Sommer für ein Hühnchen die Hülle und Fülle zu essen und aufzupicken. Als nun aber der Herbst kam und kein Blatt mehr auf den Bäumen war und der Winter anfing den Vögeln die Körner zu verschneien, da mußten die beiden kleinen Freunde auch in die Stube ziehen, und kamen in große Noth. Die Mutter nahm nämlich einen Morgen das kleine Mädchen vor und sagte zu ihr: Mein liebes Christinchen, du bist ein gehorsames frommes Kind, und es thut mir darum leid, daß Schneeweißchen von dir muß; aber wir können es nun einmal nicht behalten. Leben will das Hühnchen doch, und Gerste und Brod haben wir nicht übrig. Darum weine nicht, und geh hin und zieh dir deinen neuen Sonntagsrock an, und nimm dein Hühnchen unter’n Arm, und bring es deiner Frau Patin, der Frau Pastorin in Rambin. Die wird es um deinetwillen hegen und pflegen und bei ihr wird es bessere Tage haben als in unserm kleinen Häuschen. Als Christinchen diese Rede hörte, fing sie an so bitter1ich zu schluchzen und zu weinen, daß es der Mutter das Herz hätte brechen mögen, und rief dann: Nein! nein! Mutter, ich kann und kann das nicht thun; wenn Schneeweißchen fort muß, mag ich auch nicht länger auf der Welt bleiben und muß sterben. Und warum wollen wir das niedliche Hühnchen nicht behalten, das

nun bald groß wird und uns gewiß viele schöne Eier legt? Und das Kind weinte so sehr und bat die Mutter so flehentlich, daß diese zuletzt sagte: Nun denn in Gottes Namen! Du sollst dein Schneeweißchen behalten, und der liebe Gott mag uns bei unsrer Armuth noch wohl so

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen/Zweiter Theil. Berlin 1843, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_2_223.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)