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eingefallen und er sey in die weite Welt gegangen, wie junge Leute oft thun. Sie sah nun Mariechen immer mehr wie ihr eigenes Kind an und gewann sie noch lieber. Und Mariechen war auch gegen Elsen sehr lieb, aber doch hatte sie das kleine Schlehdornsträuchlein am liebsten in der ganzen Welt.

Es ist wohl nie ein Strauch so geliebt worden als dieser kleine Strauch. Jeden Tag hat Mariechen ihn wohl zehnmal besucht und ihn geherzt und geküßt, und wann sie das Vieh hütete, ist sie nicht von ihm gekommen, im Mond- und Sternenschein ist sie immer manche liebe Stunde bei ihm gesessen und hat mit ihm gesprochen und ihm vorgesungen und geküßt und mit mancher Thräne begossen und mit den buntesten Blumenkränzen umwunden. Auch keinen schlimmsten Wintertag und keine schauerlichste Winternacht ist Mariechen von dem Sträuchlein geblieben und ist selbst fast erstarrt an ihm, da sie ihn an ihrem Herzen erwärmen wollte. Und das liebe Kind hat so ganze Stunden mit ihm vertändelt und verflüstert und verspielt, als seyen es Sekunden, und hat wohl zu ihm gesprochen: Mein allerliebstes kleines Sträuchlein! mein kleines weißköpfiges niedliches und lustiges Schlehensträuchlein! mein kleiner süßer und krauser Bräutigam! und hat sich eingebildet, daß er es verstände

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_461.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)