Seite:De Arndt Mährchen 1 446.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

war aber dabei immer mit den wundersamsten Gesichten und Träumen und mit einer Mährchenwelt beschäftigt, die sie sich selbst schuf und worin ihre luftige und blühende Fantasie herumflatterte wie ein Frühlingsvögelein in den ersten grünen Zweigen. Mariechen hatte ein ganz besonderes Wohlgefallen an Geschichten und Mährchen und wer ihr Geschichten erzählen oder ein Mährchenbuch bringen konnte, der war ihr liebster Freund. Sie wußte eine Menge Geschichten und sie behielt alle, die man ihr erzählte oder die sie las, und vergaß sie nie wieder. Aber von allen ihren Mährchen und Geschichten war ihr keine so lieb als die Geschichte von den drei Domen. Diese Dome waren gleichsam Drillinge und hiessen der Prinzendom der Edelmannsdom und der Baurendom. Diese drei Dome erscheinen wie der Vogel Phönix je alle tausend Jahre mal wieder und kommen nach vielen Verwandlungen und Proben treuer Liebe endlich in die Arme ihrer Herzallerliebsten. Mariechens Vorliebe für das Mährchen von den drei Domen kam wohl daher, weil es ihr am allerersten und oftesten erzählt worden. Genug sie hatte sich so darin vertieft und ihr ganzes kleines Seelchen hineingelegt, daß sie sich einbildete, einer der Dome müsse wiederkommen und ihr Bräutigam werden. Das saß so fest in ihrem Herzchen, daß sie wohl häufig bitterlich weinte

Empfohlene Zitierweise:
Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_446.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)