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Das ist einmal gewiß, wer die Seejungfrau nur einmal angesehen hat, wenn sie ihn lieb haben will, der ist ihr sicherer Raub und kann nicht mehr von ihr lassen. Aber das ist ein Glück, daß diese stolze und zauberische Königin niemand in die Tiefe hinabziehen darf, der nicht einmal in ihren Armen schlief. Aber für wie viele Jünglinge ist es ein Unglück geworden, daß sie sie nur einmal gesehen haben auf dem Spiegel der Wellen hinschlüpfen oder unter einem grünen Baum ihre Locken ausringen oder auf einer blühenden Au Blumen lesen und Kränze winden! Ihr bloßer Anblick bringt eine unaussprechliche und angstvolle Sehnsucht. Wer sie einmal sah, will sie immer wieder sehen, er muß hinaus in die Wildniß, er muß die öden Wälder durchrauschen und an den tiefen Seeen und Strömen wandeln, er muß jedes Thier und jeden Vogel jeden Busch jeden Baum jeden Strauch jede Blume und jeden Grashalm fragen ja er muß Mond und Sterne und Winde und Lüfte fragen, ob sie die schöne Seejungfrau nicht irgendwo sahen. Und so hat er keine Ruhe bei Tage und bei Nacht, er muß immer dem blanken Schatten nachjagen und findet ihn nimmer und wird blaß und bleich wie ein Gespenst; denn wessen die Jungfrau sich das erste Mal nicht erbarmt, den liebt sie nimmer. So

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Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. Erster Theil. Berlin 1818, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Arndt_M%C3%A4hrchen_1_439.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)