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DIE WINDSBRAUT
EINE MONTAVONER HEXENSAGE

Das an Naturschönheiten so reiche und für den Städter zu kurzem Sommeraufenthalte recht idyllisch gelegene Tal Montavon, dessen ursprünglich romanische, beziehungsweise rätoromanische Bevölkerung sich seit ungefär zwei Jarhunderten so vollständig alamannisierte, daß gegenwärtig dem Volke selbst die Erinnerung an disen Entwelschungsproceß geschwunden ist, birgt bei seiner früheren Abgeschloßenheit noch einen großen, ungemein kostbaren Schaz von Volkssagen. Recht anmutig und mit feßelndem Interesse lesen sich die Sagen von ehemaligen Büzen und Geistern, Fenken und Hexen in Vonbuns treflichem und mit allgemeinem Beifalle aufgenommenem Werke, „die Märchen und Sagen aus Voralberg“ (Innsbruck, 1858). Dises interessante und überaus wertvolle Buch gewinnt durch die nächstens zu gewärtigende, von HSander besorgte und auf den reichen schriftlichen Nachlaße des leider für die Menschheit wie für die Wißenschaft nur allzu früh verblichenen edlen Doctors und Gelerten gestüzte Ausgabe, auf deren baldiges Erscheinen man mit gröster Spannung wartet, bedeutend an Umfang und Güte. Einen beträchtlichen Teil diser Volkssagen, namentlich der Fenken- und Hexensagen, beansprucht das von der Verkersstraße ziemlich abseitsligende Tal Montavon als sein Eigentum. Schreiber diser Zeilen teilt hier dißmal bloß eine Hexensage aus Montavon mit, „Die Windsbraut“, aus dem Grunde, weil dise Volkssage weder in der Ausgabe noch in den hinterlaßenen Papieren Vonbuns – wenigstens in diser Form – sich vorfindet. Sie wird in St. Gallenkirch also erzält:

Ein Montavoner heuete eines Tages unweit der Alpen Zamang, auf welcher sich ein im ganzen Tale berüchtigter Hexenplaz befindet. Derselbe ist rund und mit schwarzem Mose bedeckt, und daselbst haben oftmals Hexen ire Zusammenkünfte gehalten und ire nächtlichen Tänze aufgefürt. Als nun der Montavoner eben nahe diser Stelle einen Teil seines Heues zusammengerecht und sich daraus ein „Bündel“ geschnürt hatte, schwang er dasselbe auf den Kopf und wollte es in seinen in der Nähe befindlichen Stadel tragen. Da erhob sich plözlich ein Wirbelwind, drehte den Träger mit seinem Bündel im Kreise herum und drohte im dasselbe zu entreißen; doch der gute Mann werte sich so gut er konnte, und stemmte sich gewaltig gegen den wirbelnden Wind. Aber alles half nichts. Die Windsbraut hob den Mann bald etwas vom Boden auf und allmählich höher in die Lüfte, so daß er sich schließlich gezwungen sah, die Heubürde faren zu laßen, um noch mit knapper Not wider den Erdboden zu erreichen;

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Anton Birlinger (Hrsg.): Alemannia XVII. Hanstein, Bonn 1889, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XVII_178.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)