Seite:De Alemannia XIX 059.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Vor einigen Jaren haben es wider ein par Männer gewagt um Mitternacht nach dem Schaze zu graben; aber sie bekamen in nicht zu Gesicht. Denn als sie, wie es sein muß, mit iren Sonntagsröcken angetan, sich an die Arbeit machten, da sind inen, so oft sie einen Hieb in den Boden taten, immer ire Hauen über den Kopf geflogen. Da haben sie gemerkt, daß es nicht mit rechten Dingen zugehe und sind heimgegangen.

Merkwürdig ist der Name, welchen die Wannweiler dem Gespenste geben, das zumal von der Jugend ser gefürchtet wird, obgleich es noch Niemand etwas zu Leide getan hat. Wenn man den Kindern, die abends nicht nach Hause gehen wollen, zuruft „D’Ulian kommt“, dann laufen sie eilends heim.

Warum heißt nun der Burggeist nicht etwa Bertha oder auch, wie in Pfullingen, Ursula, sondern d’Ulian oder d’Uliban? Das hat in Wannweil seinen ganz besonderen Grund. Er verhält sich damit änlich, wie wenn man da und dort alte Römerschanzen Schwedenschanzen nennt, oder wenn man das wilde Muotisheer des Gottes Wodan der alten Deutschen später zum Heer des wilden Jägers von Rodenstein machte. Die alten Sagen pflegen sich zu verjüngen, indem sie Gestalt und Namen ändern.

Zum Namen Uliane kam nun das Burgfräulein auf folgende Weise: Zur Zeit der Reformation lebte in dem Stifte zu Halberstadt ein Stiftsherr Namens Sebastian Beger, der wegen seiner Hinneigung zu Luthers Lere vertriben wurde. Er war gebürtig aus Westerhausen bei Quedlinburg und flüchtete sich nach Wittenberg zu Luther, und Melanchthon. Mit einem Empfelungsbriefe des lezteren an den Reformator Matthäus Alber und den Rat kam er im Jare 1534 nach Reutlingen und wurde bald als erster evangelischer Pfarrer in Wannweil angestellt. Diser erste evangelische Pfarrer von Wannweil nun verheiratete sich mit einer erbaren Bürgerstochter aus der reichen Reutlinger Familie Seingrün, der unter andern Gütern der Gaisbühl gehörte, Namens Juliane. Juliane Seingrün war aber eine tugendsame und gestrenge Haus- und Pfarrfrau, welche nicht nur ire eigenen 6 Söne in Zucht und Ordnung zu halten wußte, sondern auch die ganze Dorfjugend. Besonders hielt sie strenge darauf, daß die liebe Jugend in der Dämmerung nicht sich außerhalb Etters hinter den Hecken herumtreibe, sondern sich sittsam nach Hause begebe und wis solche, welche der neuen strengen Sittenzucht, sich nicht recht fügten, mit scharfen Worten zurecht[WS 1]. So hat sie ein strenges Sittenregiment gefürt und oftmals hat die „verwönte“ Jugend des Dorfes bei dem Rufe: „Die Juliane kommt“ die Flucht ergriffen, und auch noch als sie nicht mer lebte, genügte in Wannweil der Ruf die „Juliane“, so nannte man kurzweg die Pfarrfrau mit irem Taufnamen, oder in irer Sprache „d’Ulian kommt“, um die umherschwärmenden nach

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zureeht
Empfohlene Zitierweise:
Anton Birlinger, Fridrich Pfaff (Hrsg.): Alemannia XIX. Hanstein, Bonn 1892, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_XIX_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)