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Tage schon hatte, gequält von der Liebe Pein, der Jüngling vergebens geharrt. In dem Rausch der Liebe eilt er ungeduldig und sehnsuchtvoll zu dem See. Plözlich dringt aus dem Schoose des Sees, wie aus beklemmter Brust, dumpfes Aechzen zu seinem Ohr, und blutrot färbt sich der See, mit den breiten Blättern der Nymphea bedeckt. Zittern und Beben überfällt die Glieder des lüsternen Knaben, er eilt in seine Hütte, und – stirbt auf diesen Sündenfall.

4 Manche nützliche Hülfe wiederfuhr von den See-Nymphen, selbst unbekannterweise, den Dorfnachbarn. Während diese der nächtlichen Ruhe pflagten, arbeiteten für sie insgeheim die Wasserjungfrauen. Oft, wenn jene erwachten, war die für den kommenden Tag bestimmte Arbeit schon gethan – von den Unbekannten. Sogar Haus- und Küchengeschirr waren gereinigt, das Brot gebacken, nur die Betten nicht gemacht. Dass ihre Tugend und Betriebsamkeit auf die Probe gestellt sey, ahneten die Kurzsichtigen nicht; auch bestanden sie in der Probe so wenig, als der schöne Hirtenknabe. Trägheit und Wolleben, Unzucht und Schwelgerei waren die Klippen, an denen ihre Tugend scheiterte. Mit Abscheu flohen die vestalischen See-Jungfern diese Werkstatt der Sünde, wo nun die Gefallenen, ihrer Hülfe beraubt, der Arbeit entwöhnt, in dem Joche des Lasters dreifach büsseten.

Gross war die Zahl dieser Nymphen, die, in grauer Vorzeit, in und unter dem See ihren Wohnsitz hatten. Sie stunden unter der Aufsicht eines sehr alten Mannes, mit einem Karfunkel-Gesicht, und mit langem, schneeweissem Bart. Ein Theil derselben pflegte bei Nacht im Murgtal die Waldung auszustecken und anzubauen. Andere mischten sich in die Tanzgesellschaften der Dorf-Bewohner, liehen diesen Geld, Getreide und andere Lebensmittel. Noch andere widmeten sich dem menschenfreundlichen Geschäft, die Reisenden in den Einöden des Schwarzwaldes zu geleiten, und die Verirrten zurechtzuweisen. Einige von diesen bieten sich einst etlichen schönen Jünglingen, die dort wanderten, zu Führerinnen an. Man verspätet sich, die Schönen bitten, unter allerlei Versprechungen, die rotbackigen Fremdlinge, mit ihnen nach dem See zu wandern, und da zu übernachten. Die Jünglinge weigern sich. »Auf ewig seyd ihr verloren: wofern ihr unsere Bitte verschmäht!« sprechen drohend die Seejungfern. Die Zudringlichkeit siegt über das Mistrauen der geschämigen Jünglinge. Sie folgen.

Kaum an das Schilfgestade des Sees gekommen, werden Alle von dem Gebirg verschlungen. Wie auf einen Zauberschlag fallen sie in den Abgrund, unter dem See. Da stehen sie mitten in einem sehr grossen schwarzen Saal, der mit vielen grossen Spiegeln und einer zahllosen Menge Perlen und Diamanten ausgeschmückt, und von Millionen Lampen erleuchtet ist. Ein Greis, der Wassergott, sizt da unter einem goldenen Thronhimmel auf

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Anton Birlinger (Hrsg.): Alemannia II. Marcus, Bonn 1875, Seite 153. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Alemannia_II_161.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)