Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit | |
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Eine seltsame Sucht beherrscht die Arbeiterklasse aller Länder, in denen die kapitalistische Zivilisation herrscht, eine Sucht, die das in der modernen Gesellschaft herrschende Einzel- und Massenelend zur Folge hat. Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die rasende, bis zur Erschöpfung der Individuen und ihrer Nachkommenschaft gehende Arbeitssucht. Statt gegen diese geistige Verirrung anzukämpfen, haben die Priester, die Oekonomen und die Moralisten die Arbeit heiliggesprochen. Blinde und beschränkte Menschen, haben sie weiser sein wollen als ihr Gott; schwache und unwürdige Geschöpfe, haben sie das, was ihr Gott verflucht hat, wiederum zu Ehren zu bringen gesucht. Ich, der ich weder Christ, noch Oekonom, noch Moralist zu sein behaupte, ich appellire von ihrem Spruch an den ihres Gottes, von den Vorschriften ihrer religiösen, ökonomischen oder freidenkerischen Moral an die schauerlichen Konsequenzen der Arbeit in der kapitalistischen Gesellschaft.
In der kapitalistischen Gesellschaft ist die Arbeit die Ursache des geistigen Verkommens und körperlicher Verunstaltung. Man vergleiche die von einer ganzen Schaar zweihändiger Knechte bedienten Vollblutpferde in den Ställen eines Rothschild oder Hohenlohe mit den schwerfälligen normannischen oder pommerischen Gäulen, welche das Land beackern, den Mistwagen ziehen und die Ernte einfahren müssen! Man betrachte den stolzen Wilden, wenn ihn die Missionäre des Handels und die Handlungsreisenden in Glaubensartikeln noch nicht durch Christenthum, Syphilis und das Dogma von der Arbeit korrumpirt haben, und dann vergleiche man mit ihnen unsere abgerackerten Maschinensklaven![1]
- ↑ Oft sind die europäischen Forscher ganz betroffen von der körperlichen Schönheit und der stolzen Haltung der Angehörigen primitiver Völkerschaften, welche noch nicht von dem „vergifteten Hauch der Zivilisation“, um mit dem Dichter zu reden, befleckt sind. Von den Ureinwohnern der australischen Inseln schreibt Lord George Campbell: „Kein Volk der Welt frappirt mehr im ersten Augenblick. Ihre ebene und kupferfarben schimmernde Haut, ihr gelocktes vergoldetes Haar, ihre schöne und anmuthige Figur, mit einem Wort ihre ganze Persönlichkeit stellte ein neues und
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/7&oldid=- (Version vom 9.5.2017)