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Um die Zeit todtzuschlagen, die uns Sekunde für Sekunde tödtet, wird man Schauspiele aller Art veranstalten – gefundene Arbeit für unsere Herren Gesetzgeber. Man wird sie in Truppen organisiren, die auf die Dörfer und Flecken ziehen und Gesetzgebungsvorstellungen aufführen.

Generäle in Reitstiefeln, die Brust mit Tressen verschnürt und mit Orden aller möglichen Raubthiere bedeckt, werden durch die Straßen laufen und die lieben Leute zum Schauen einladen. Bismarck und Stöcker werden vor der Bude ihre Späßchen aufführen. Bismarck wird, als Eisenfresser kostümirt, die Augen rollen, den Schnurrbart drehen, brennendes Werg ausspeien und Jedermann mit Degen, Revolver, Bierseidel u. s. w. bedrohen, aber, sobald man ihm das Bild des Herrn von Münchhausen zeigt, sich in ein großes Loch stürzen. Stöcker wird als Apostel der Bruderliebe von Arbeiterwohl und Ausbeuterhaß, von christlicher Milde und christlichem Sozialismus, von deutscher Art und Sitte reden, dann aber wird er plötzlich den Talar fallen lassen und im schwarz-weißen Kostüm dastehen, in der einen Hand eine Knute, in der andern den Klingelbeutel; um seinen Hals wird ein Plakat hängen: Agent für Landbarone, Schlotjunker und Konsorten!

In der Bude aber wird man zuerst die Wahlposse aufführen.

Vor Wählern mit Holzschädeln und Eselsohren werden Bourgeoiskandidaten im Bajazzokostüm den politischen Freiheitstanz aufführen, indem sie sich Vorder- und Rückseite mit ihren Wahlprogrammen voller Versprechungen behängen, mit Thränen in den Augen von den Leiden des Volks und mit erzener Stimme vom Ruhm des Vaterlandes reden. Worauf die Köpfe der Wähler im Chor ein kräftiges I – a! I – a! brüllen.

Dann beginnt das große Schauspiel: Der Diebstahl der Güter der Nation:

Das kapitalistische Deutschland, ein ungeheuerliches Weib mit rauhem Gesicht und kahlem Schädel, fahler Haut und fettem, aufgedunsenem Körper, liegt gähnend und mit glanzlosen Augen auf einem Sopha hingestreckt. Zu ihren Füßen verschlingt der industrielle Kapitalismus, ein Riesenorganismus von Eisen mit einer Affenmaske, mechanisch Männer, Frauen und Kinder, deren herzzerreißende Klagerufe die Luft durchdringen. Die Bank, mit Marderschnauze, Hyänenkörper und Habichtkrallen, stiehlt ihm ein Geldstück nach dem andern aus der Tasche. Ganze Armeen elender, abgemagerter und in Lumpen gehüllter Proletarier, von Gensdarmen mit blanker Klinge eskortirt, von Furien, welche sie mit der Hungerpeitsche geißeln, getrieben, bringen Haufen von Waaren aller Art, Fässer Wein und Bier und ganze Säcke voll Gold oder Korn, und legen sie dem kapitalistischen Deutschland zu Füßen. Herr Adolph Wagner, in der einen Hand die Schriften von Rodbertus, in der anderen die Dankadresse der Antisemiten, und im Munde – die kaiserliche Botschaft, stellt sich an die Spitze der Vertheidiger der Güter der Nation und zieht auf Posten. Sobald die Lasten niedergelegt sind, verjagen sie die Arbeiter mit Bajonett- und Kolbenstößen, und öffnen den Händlern, den Industriellen und Bankiers die Pforten. Im wüsten Durcheinander stürzen sich diese auf die Werthobjekte, heimsen die Fabrikwaaren, die Goldbarren, die Säcke Getreide ein und leeren die Fässer. Endlich

Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/26&oldid=- (Version vom 4.6.2018)