Seite:Das recht auf faulheit-lafargue-1884.pdf/19

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

der von dieser in Ueberzahl verfertigten Produkte zu weihen. Zu Anfang der kapitalistischen Produktion, vor etwa ein oder zwei Jahrhunderten, war der Bourgeois noch ein ehrsamer Mann von gesetzten und friedlichen Sitten: er begnügte sich mit seiner Frau, wenigstens beinahe, er trank nur, wenn er Durst, und aß nur, wenn er Hunger hatte. Er überließ den Höflingen und Hofdamen die noblen Passionen der Ausschweifung. Heute gibt es keinen Bourgeois, der sich nicht mit Trüffelkapaunen und Chateau Lafitte anmästet, um die Geflügelzucht und den Weinbau zu fördern; keinen Sohn eines Emporkömmlings, der sich nicht für verpflichtet hielte, die Prostitution zu vermehren und seinen Körper zu verquecksilbern, nur damit die todtbringende Arbeit in den Quecksilbergruben doch einen Zweck habe. Bei diesem Geschäft geht der Körper schnell zu Grunde, die Haare werden dünner, die Zähne fallen aus, der Bauch schwillt an, die Brust wird asthmatisch, die Bewegungen werden schwerfälliger, die Gelenke steif, die Glieder gichtig. Andere, die zu schwach sind, um die Anstrengungen der Ausschweifung zu ertragen, aber mit der gehörigen Dosis philisterhafter Klugmeierei ausgestattet, dörren ihr Gehirn aus, wie Herr Lazar von Hellenbach, der „Mann ohne Vorurtheil“, und hecken dickbändige, schlafsuchterregende Bücher, um Schriftsetzern und Buchdruckern Beschäftigung zu geben.

Die Frauen der vornehmen Welt führen das Leben einer Märtyrerin. Um die feenhaften Garderoben, bei deren Herstellung die Schneiderinnen sich die Schwindsucht an den Hals arbeiten, zu prüfen und zur Geltung zu bringen, schlüpfen sie den ganzen Tag von einer Robe in die andere; stundenlang stellen sie ihren Kopf Haarkünstlern zur Verfügung, die ihnen für schweres Geld die unmöglichsten Frisuren herrichten müssen. Eingeschnürt in ihren Korsets, die Füße in enge Stiefeletten gezwängt, den Busen in einer Weise entblößt, daß ein Gardelieutenant darüber roth werden könnte, drehen sie sich ganze Nächte hindurch auf ihren Wohlthätigkeitsbällen herum, um einige Mark für die Armen zusammenzubringen. O, ihr heiligen Dulderinnen!

Um ihrem doppelten gesellschaftlichen Beruf als Nichtproduzent und Ueberkonsument nachzukommen, hat die Bourgeoisie nicht nur ihren bescheidenen Bedürfnissen Zwang anthun, die ihr seit zwei Jahrhunderten zur Gewohnheit gewordene Arbeitsamkeit sich abgewöhnen und sich einem zügellosen Luxus, der Anstopfung mit Trüffeln, sowie syphilitischen Ausschweifungen ergeben gemußt, sie mußte auch eine enorme Masse Menschen der produktiven Arbeit entziehen, um sich Mitesser zu verschaffen.

Einige Zahlen mögen beweisen, wie kolossal diese Brachlegung von Produktionskräften ist. „Nach dem Zensus von 1861 zählte die Gesammtbevölkerung von England und Wales 20,066,244 Personen, wovon 9,776,259 männliche und 10,289,965 weibliche. Zieht man hiervon ab, was zu alt oder zu jung zur Arbeit, alle „unproduktiven“ Weiber, jungen Personen und Kinder, dann die „ideologischen“ Stände, wie Regierung, Pfaffen, Juristen, Militär u. s. w., ferner Alle, deren ausschließliches Geschäft der Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente, Zins u. s. w., endlich Arme, Vagabunden, Verbrecher u. s. w., so bleiben in runder Zahl 8 Millionen beiderlei Geschlechts und der verschiedenen Altersstufen, mit Einschluß sämmtlicher in der Produktion,

Empfohlene Zitierweise:
Paul Lafargue (übersetzt von Eduard Bernstein): Das Recht auf Faulheit. Schweizerische Genossenschaftsbuchdruckerei, Hottingen-Zürich 1884, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_recht_auf_faulheit-lafargue-1884.pdf/19&oldid=- (Version vom 11.6.2017)