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der Groll desselben in einem verminderten Trinkgeld seinen Ausdruck finden. So darf man sagen: das Trinkgeld enthält die culinarische Censurnummer – wie die Speisen und die Getränke, so die Nummer! Eine Hausfrau, die indiscret genug wäre, den Schleier, der diese Schlussscene der Gesellschaft ihren Blicken entzieht, zu lüften, könnte die ihr ertheilte Censurnummer in Erfahrung bringen, und der Gast hätte es in seiner Hand, ihr durch das Trinkgeld eine Schmeichelei oder eine Grobheit zu sagen.

Unter allen Gestaltungen des Trinkgeldes enthält diese in meinen Augen die grösste Verirrung, sie bezeichnet den äussersten Culminationspunkt des Widersinnigen, zu dem sich das Trinkgeld verstiegen hat. Wie sich diese Unsitte gebildet, ob auf secundärem Wege durch Uebertragung des geschäftlichen Trinkgeldes auf das gesellige Leben oder originär auf dem Boden des letzteren, vermag ich nicht zu bestimmen, kurzum sie ist da. Aber ihre Existenz hält mich nicht ab, sie als eine wahre Deformität unseres geselligen Lebens zu kennzeichnen. Sie enthält einen flagranten Widerspruch gegen die Idee des letzteren: die Gastfreundschaft, und es ist dies ein eigenthümlicher Vorwurf, der sich bei dieser dritten Art des Trinkgeldes zu denjenigen, welche wir gegen die zweite Art desselben erhoben haben, noch hinzugesellt. Letzteres bewegt sich auf einem Boden,

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Rudolf von Jhering: Das Trinkgeld. Georg Westermann, Braunschweig 1882, Seite 41. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Trinkgeld.pdf/41&oldid=- (Version vom 31.7.2018)