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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

In den ersten Augusttagen war in dem von einer Berliner Gesellschaft erbauten und mit allem Komfort der Neuzeit eingerichteten Hotel in Neokastro eine aus vier Köpfen bestehende deutsche Familie, ein Ehepaar mit einem fünfjährigen Knaben und einer Bonne, abgestiegen. Der Herr, der sich als Ingenieur Fritz Hilgener aus Danzig in das Fremdenbuch eingetragen hatte, schien ein ebenso großer Fußgänger wie Naturfreund zu sein, denn gleich nach seiner Ankunft unternahm er, ausgerüstet mit einer photographischen Camera und einem derben Spazierstock, weite Ausflüge in die Umgegend, zu denen er meist schon in den frühen Morgenstunden aufbrach, um erst Mittags bestaubt und ermattet zurückzukehren.

Seine junge, kränklich aussehende Frau begleitete ihn nur selten, saß in seiner Abwesenheit auf der Hotelterrasse, schaute träumerisch auf das zu ihren Füßen liegende Hafenbild und antwortete nur zerstreut auf die Fragen ihres lebhaften Söhnchens, das oft mit scheuen Augen zu ihr aufsah, als ob sein Kindergemüt nicht begreifen konnte, warum die Mutter trotz des lachenden Sonnenscheins und der vielen Schifflein unten auf dem weiten Meere von Tag zu Tag stiller und trauriger wurde.

Da, nach einer Woche – der Knabe schritt gerade um die Mittagszeit an ihrer Hand durch die schattigen Wege des Hotelparks – sollte er doch wieder die Freude erleben, um ihre Lippen ein glückliches Lächeln spielen zu sehen, als der Vater ihnen plötzlich begegnete und schon von weitem mit der Hand freudig winkte, sich dann in der Mutter Arm einhängte und leise auf sie einsprach mit froh erregtem Gesicht.

„Endlich – endlich!“ flüsterte Hilgener ganz atemlos seiner Frau zu. „Ich habe die Stelle jetzt gefunden,

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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/38&oldid=- (Version vom 31.7.2018)