Seite:Das Tagebuch eines Irren.pdf/28

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

Die junge, blasse Frau konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. „Und in diesem Schreiben findest du etwas Besonderes, Fritz?“ meinte sie verwundert. „Ich kann Hans nur recht geben, wenn er es für nichts weiter als einen Bekehrungsversuch hält. Denn von irgend einem versteckten Zweck merke ich wirklich nichts.“

Auch der junge Arzt schaute den Schwager etwas ironisch am „Du hast von jeher eine mit deinem sonstigen praktischen Sinn gar nicht in Einklang zu bringende Vorliebe für alles gehabt, was mit dem Reiz des Eigenartigen, Geheimnisvollen umgeben zu sein schien. Daher auch deine Leidenschaft für alte Schreibtische, in denen du nach verborgenen Fächern suchst, für halb vermoderte Urkunden und anderen antiken Kram, der dich allerdings spielend in die Geschichte des Kunsthandwerkes eingeführt hat – das muß ich zugeben. Aber daß du nun auch in diesem Tagebuch Seiner Majestät Kaiser Friedrichs I. von Afrika etwas Rätselhaftes herausstöbern willst, heißt doch den Sport ein wenig übertreiben.“

Hilgener hatte mit einem eigentümlich überlegenen Lächeln, in seinen Stuhl zurückgelehnt, diesen Erguß hingenommen. Während er jetzt seinen dunkelblonden Schnurrbart langsam durch die Finger zog, erwiderte er gelassen: „Du scheinst dem preußischen Lehrer, der vor ungefähr achtzig Jahren die Danziger Jugend in das Reich der Wissenschaft einführte, doch eine gar zu vielseitige Bildung zuzutrauen, wenn du annimmst, daß er die türkische Sprache so vollkommen beherrschte, um eine Sure aus dem Koran übersetzen und daraus für sein Seelenheil die nötige Belehrung schöpfen zu können. Ich für meinen Teil glaube kaum, daß es um das Jahr 1830 herum in Danzig oder in einer anderen Handelsstadt Deutschlands einen Lehrer gegeben

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/28&oldid=- (Version vom 31.7.2018)