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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9)

durch die Vermittlung des politischen Agenten der holländischen Regierung abgesandt hatte.

Durch eine ganze Kette von Zufällen wurde dieses Schreiben wieder aufgefunden.




Auf dem für die Fernzüge bestimmten Bahnsteige des Zoppoter Bahnhofs ging an einem heißen Julivormittag ein Herr wartend auf und ab. Schon öfters hatte er ungeduldig nach der Uhr gesehen und sich noch häufiger die Schweißperlen von der Stirn getupft, die ihm die von dem wolkenlosen Himmel unbarmherzig herabbrütende Sonne trotz des schattenspendenden, leichten Panamahutes immer wieder auf die Stirne trieb. Der Stettiner Schnellzug, der schon mit fünf Minuten Verspätung gemeldet war, ließ sich heute besonders viel Zeit. Aber damit mußte man in den ersten Tagen der großen Sommerferien, wo die Eltern schulpflichtiger Kinder sich endlich auch der allgemeinen Flucht in die Bäder anschließen konnten, trotz der sonst so anerkennenswerten Pünktlichkeit der Bahnen rechnen. Fritz Hilgeners leicht gebräuntes Gesicht, dem der stark gebaute Unterkiefer und die dunkeln, meist etwas herrisch blickenden Augen den Ausdruck unbeugsamer Energie verliehen, war auch nicht deshalb so verdüstert, weil ihm dieses Sonnenbad die Stimmung störte, sondern aus anderen Gründen, die ihm schon seit Monaten tiefe Falten um den Mund gegraben hatten.

Während er jetzt langsam auf und ab ging, suchte er vergeblich seine Gedanken von den Ereignissen abzulenken, die ihn so plötzlich überfallen und aus einer scheinbar gesicherten Lebensstellung wieder in den harten Daseinskampf hinausgedrängt hatten. Dieser

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Walther Kabel: Das Tagebuch eines Irren (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 9). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1908, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Tagebuch_eines_Irren.pdf/19&oldid=- (Version vom 31.7.2018)