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Und willst du jetzt von mir: so rede recht, –

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so bin ich nicht mehr Herr in meinem Munde,

der nichts als zugehn will wie eine Wunde;
und meine Hände halten sich wie Hunde
an meinen Seiten, jedem Ruf zu schlecht.

Du zwingst mich, Herr, zu einer fremden Stunde.


Mach mich zum Wächter deiner Weiten,
mach mich zum Horchenden am Stein,
gib mir die Augen auszubreiten
auf deiner Meere Einsamsein;

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laß mich der Flüsse Gang begleiten

aus dem Geschrei zu beiden Seiten
weit in den Klang der Nacht hinein.
Schick mich in deine leeren Länder,
durch die die weiten Winde gehn,

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wo große Klöster wie Gewänder

um ungelebte Leben stehn.
Dort will ich mich zu Pilgern halten,
von ihren Stimmen und Gestalten
durch keinen Trug mehr abgetrennt,

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und hinter einem blinden Alten

des Weges gehn, den keiner kennt.


Denn Herr, die großen Städte sind
Verlorene und Aufgelöste;
wie Flucht vor Flammen ist die größte, –
und ist kein Trost, daß er sie tröste,

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und ihre kleine Zeit verrinnt.
Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_084.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)