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von lauter Ähnlichen umschart,

empfand ich dich wie nie so zart
so ohne Wort geoffenbart
in allen und in ihm.

Du läßt der Zeit den Lauf,

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und dir ist niemals Ruh darin:

der Bauer findet deinen Sinn
und hebt ihn auf und wirft ihn hin
und hebt ihn wieder auf.


Wie der Wächter in den Weingeländen
seine Hütte hat und wacht,
bin ich Hütte, Herr, in deinen Händen
und bin Nacht, o Herr, von deiner Nacht.

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Weinberg, Weide, alter Apfelgarten,

Acker, der kein Frühjahr überschlägt,
Feigenbaum, der auch im marmorharten
Grunde hundert Früchte trägt:

Duft geht aus aus deinen runden Zweigen.

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Und du fragst nicht, ob ich wachsam sei;

furchtlos, aufgelöst in Säften, steigen
deine Tiefen still an mir vorbei.


Gott spricht zu jedem nur, eh er ihn macht,
dann geht er schweigend mit ihm aus der Nacht.
Aber die Worte, eh jeder beginnt,
diese wolkigen Worte sind:

Empfohlene Zitierweise:
Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch. Leipzig: Insel-Verlag. 1918, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Stundenbuch_(Rilke)_042.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)